Einer der Begründer der Kleinsiedlungsbewegung war der Plochinger Architekt Hans Weisen. Er warb nicht nur für Puppenhäuser – er lebte auch in einem.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Plochingen - Man kann sie leicht übersehen in der zersiedelten Landschaft auf dem Plochinger Hermannsberg. Denn die herausragenden Merkmale der beiden denkmalgeschützten Häuschen aus dem Jahr 1927 und 1942 ist ihre Winzigheit. Der sportliche Ehrgeiz ihres Erbauers Hans Weisen war, auf möglichst wenig Fläche ein lebenswertes und billiges Zuhause zu schaffen. Dahinter steckt eine Überlegung, die das abendländischen „Größer, schneller, weiter“, einfach umkehrt: „Kleiner, billiger, besser.“ In den Zeiten des ökologischen Umdenkens werden seine Ideen zur Nachhaltigkeit wieder aktuell. Dabei hat der 1883 in Merseburg geborene Architekt, Theosoph und Schriftsteller seine Ideen höchst marktgerecht formuliert: „Ich spare 50 Prozent Raum, 50 Prozent Baukosten, 50 Prozent Heizstoffe und 50 Prozent der Hausarbeitszeit.“

 

Hans Weisen wuchs in Merseburg und Halle auf, studiert hat er in Charlottenburg und München. 1907 trat er dem einflussreichen Deutschen Werkbund bei, der auch die Weißenhofsiedlung 1927 in Stuttgart baute.

Bereits 1910 hat er in seinem Buch „Baukunst“ seine Maxime formuliert: „Die ärmsten Frauen sind die, die viele Räume haben. An Räumen viel, an Lebenszeit wenig.“ Seine Standpunkt markiert die genaue Umkehr des bürgerlichen Wohnens, wonach der Reiche, „eine Küche, eine Anrichte, einen Spülraum und eine Speisekammer haben muss, ein Armer dagegen nur eine Wohnküche besitzt.“ Wie alle Menschen, die im Kleinen ihr Heil suchen, war er detailversessen. Vor allem war ihm das Dach wichtig. „Gleich einer Glucke soll das Dach die Fittiche über das Haus breiten“, schrieb er. Rohe Balken und Latten im Dachstuhl waren demzufolge nichts für ihn. Er war ein unermüdlicher Kämpfer für die Ideen, die sogar amerikanische Fachzeitschriften nachdruckten.

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte er, eine Siedlung mit Kleinbauten zu errichten – in Waldeck am Eder-Stausee in Nordhessen. Das Projekt ging jedoch 1922 pleite. Vielleicht war es die traditionelle Kleinheit der Parzellen oder die Strahlkraft, die Stuttgart durch die Weißenhofsiedlung erhielt, die Weisen nach Möhringen lockte, wo er sich 1925 niederließ. Er gründete die Kleinwohnungsbaugesellschaft „Schaffende Häuser“ und gab eine gleichnamige Zeitschrift heraus. 1927 baute er das erste Häusle am Hermannsberg, in dem er bis zu seinem Tod im Jahr 1954 wohnte. 1942 folgte ein zweites. In den Häuschen ist jeder Winkel ausgenutzt. Ein Kachelofen mit Bank liefert das Warmwasser, dient zum Kochen, Backen und Dörren. Die Badewanne ist in die Wohnküche in den Boden eingelassen und wird bei Nichtbenutzung abgedeckt. Geschlafen wird in einem Alkoven unter dem Dach.

Etwas größere, aber immer noch funktionale Häuser baute er im Oberen Haldenweg, als während der NS-Zeit dringend Wohnungen für die Eisenbahner benötigt wurden. Er schuf etliche Gebäude, für die immer ein funktionales Element charakteristisch war, wie etwa einen Aufzug von der Speisekammer in die Küche. Seine denkmalgeschützten Häuser auf dem Hermannsberg sind jetzt wieder bewohnt und wurden von den Eigentümern in den letzten Jahren liebevoll restauriert.

Dass der Nachlass Hans Weisens über seine Erben nun Plochingen erreicht hat, ist ein Glücksfall für die Stadt. Zwar hat sich einmal schon eine studentische Forschungsgruppe seinen Ideen angenommen. Doch steht die Erforschung seines Nachlasses noch aus. Im Sommer will Gabriele Mühlnickel-Heybach vom Kreisarchiv den Inhalt der Kiste verschlagwortet und erfasst haben. Dann steht einer weiteren Forschung nichts mehr im Wege.