Binnen 24 Stunden wurden 175 000 Karten verkauft – Großbritannien ist wieder im Harry-Potter-Fieber. Keine andere Veranstaltung dieses Sommers an der Themse hat so viel leidenschaftliches Interesse aufgerührt wie die fulminante Bühnen-Magie, die an diesem Samstag im Londoner West-End Premiere feiert.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Tickets? Sind keine mehr zu haben. Auf Monate hin ist diese West-End-Show inzwischen ausgebucht. Dabei hat sie noch nicht einmal ihre offizielle Uraufführung gehabt - die findet erst an diesem Samstag statt. Aber schon jetzt liegt Großbritannien wieder im Harry-Potter-Fieber. Keine andere Veranstaltung dieses Sommers an der Themse hat so viel leidenschaftliches Interesse aufgerührt wie dieses Stück neuer und fulminanter Bühnen-Magie in London. Binnen 24 Stunden wurden 175.000 Karten verkauft.

 

Harry Potter and the Cursed Child“ heißt der Zweiteiler, der jetzt im Palace Theatre, an Londons Cambridge Circus, zu sehen ist. Wie der Titel nahelegt, geht es um ein von einem Fluch verfolgtes Kind, um ein weiteres dunkles und doch goldschimmerndes Rätsel aus der Feder JK Rowlings. Vor allem aber geht es um die Wiederkehr des Hogwarts-Zauberlehrlings Harry und der Seinen, die mit diesem Sprung auf die Bühne wieder in unser aller Bewusstsein gelandet sind.

Keine zehn Jahre ist es her, dass sich Harry Potter im siebten und letzten Band der Rowling-Serie von seinen meist jugendlichen Fans verabschiedete. Und gerade erst fünf Jahre, dass der letzte Teil der Verfilmung der „Deathly Hallows“, der Heiligtümer des Todes, in die Kinos kam. Seither, hat die schottische Autorin belustigt erklärt, sei sie „bestimmt fünf Mal in der Woche“ gefragt worden, ob sie die Harry-Potter-Geschichte denn nicht fortschreiben wolle. Und natürlich, räumte sie ein, sei ihr Harry nie aus dem Kopf gegangen. Er habe sie immerhin 17 Jahre lang beschäftigt: „Und dass ich einmal auf irgend einer Seite zu schreiben aufgehört habe, heißt ja nicht, dass er in meiner Fantasie nicht weiter lebt.“

Zwei mal zweiweinhalb Stunden Theater

Ihren sieben Bänden einen achten hinzuzufügen, oder Harry Potter zu einem Musical zu verarbeiten, habe sie aber nie wirklich erwogen, sagte Rowling jüngst dem Londoner Guardian: „Musicals mag ich nicht. Das Theater liebe ich dagegen sehr.“ Vor zwei Jahren setzte sie sich mit dem Dramatiker und Drehbuch-Autor Jack Thorne und dem Regisseur John Tiffany zusammen, um zu sehen, ob „ein paar Ideen, die ich hatte“, ein gutes Stück, von ganz und gar neuer Qualität und Richtung, ergeben würden.

Die Kooperation verlief äußerst erfolgreich. Mit Rowlings und Tiffanys Hilfe schrieb Thorne „Harry Potter and the Cursed Child“. Zwei mal zweieinhalb Stunden lang ist, was das Trio auf diese Weise produzierte. Teil 1 und Teil 2 kann man am gleichen Tag oder separat, an verschiedenen Tagen, in Augenschein nehmen.

Wer das Stück gesehen hat, ist hingerissen. Die Kritiker der Londoner Theaterszene, bis hin zu denen der nüchternen Finanzblätter, haben diesem Harry Potter fast durchweg fünf Sterne, das Top-Prädikat, verpasst. Die Times hat dem „Theaterereignis des Sommers“ schmunzelnd vier und dreiviertel Sterne gegeben. Potter-Kenner wissen natürlich, warum: Auf dem King´s-Cross-Bahnsteig 9¾ beginnt die Reise nach Hogwarts – und endet das letzte Harry-Potter-Buch. Dort schließt das neue Stück an: Mit einem inzwischen 37-jährigen Harry und seiner Frau Ginny, die ihren Sohn Albus auf den magischen Schulweg ins Potterland bringen.

Ungelöste Kindheits-Rätsel und Rückblenden

Das Neue ist aber keineswegs ein Abklatsch des Alten. Albus erweist sich, im Kontrast zu Harry, als unglücklicher Schüler in der Zauberschule, der sich vom väterlichen Schatten zu befreien hat. Er freundet sich mit einem Jungen namens Scorpius Malfoy an, der seinerseits in einem Gespinst wunderlicher Vergangenheit gefangen ist. Ungelöste Kindheits-Rätsel, familiäre Überraschungen, Rückblenden zur alten Potter-Story und ein erneutes Ringen um Freundschaft, Liebe, Rachlust und Schuldgefühle breitet „Harry Potter and the Cursed Child“ in diesen fünf Stunden vor seinem Publikum aus.

Dass die Sache im Fluss bleibt und spannend von Anfang bis Ende, dafür sorgen 42 Schauspieler und eine vielgepriesene Theatralik. Die heiteren Töne bei den dramatischen Verwicklungen, der schiere Einfallsreichtum des Stücks und das Spiel mit den zaubrischen Verwandlungen haben der Produktion schon im Vorfeld der Uraufführung begeisterten Zuspruch eingetragen: Von den flammenden Zauberstäben bis zu den schaurigen „Dementoren“, die über die Köpfe der Zuschauer hinweg fliegen, um ihren Opfern die Seele aus dem Leib zu saugen - oder dem Augenblick, in dem die ganze Bühne im Wasser zu versinken scheint.

Seit sechs Wochen finden Vorpremieren statt

Angst vor der wohlbekannten Zauberkraft Rowlings hat vielleicht auch dazu geführt, dass so lange Schweigen bewahrt worden ist über die Details der Handlung, die Geschicke der Hauptpersonen. Immerhin finden schon seit über sechs Wochen im Palace Theatre „Vorpremieren“ statt. Wer eine solche Aufführung besuchte, bekam am Ausgang stets einen Ansteckknopf mit der Aufschrift „Keep The Secret“ (behaltet das Geheimnis für euch) verliehen. Sie vertraue der „verschworenen Gemeinschaft“ ihrer Leser einfach, auch diesmal das Ende nicht preiszugeben, erklärte JK Rowling immer wieder. Die meisten Potter-Fans, in erprobter Treue zu ihrem Helden, hielten sich daran.