Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Russland behauptet zum einen, es sei gerufen worden . . .
Eine Intervention auf Einladung ist grundsätzlich möglich. Allerdings hat der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Einladung erst nach seiner Flucht aus der Ukraine ausgesprochen. Da ist es fraglich, ob er überhaupt noch die effektive Gewalt innehatte, um das zu dürfen. Unbestritten ist zudem, dass Artikel 85 der ukrainischen Verfassung für die Dislozierung ausländischer Truppen auf ukrainischem Territorium die Zustimmung des Parlaments fordert. Die gab es auf keinen Fall.
Russland behauptet zum anderen, seine eigenen Staatsangehörigen beschützt zu haben.
Selbstverteidigung ist im Völkerrecht absolut anerkannt. Das ist eindeutig, wenn es zu einem Angriff auf das eigene Territorium kommt. Seit Entebbe 1976 gibt es noch eine Argumentation. Israel hat da in Uganda mit eigenen Truppen ein entführtes Flugzeug befreit, in dem hauptsächlich Landsleute saßen und gesagt, die Entführung sei zwar kein Angriff auf das israelische Staatsgebiet, aber auf das Volk gewesen. 2011 hat die Bundesrepublik zusammen mit Großbritannien bewaffnete Militärmaschinen nach Libyen geschickt, um Europäer zu evakuieren. Da ist nicht geschossen worden, das hätte aber passieren können.
Und so etwas ist zulässig?
Das ist hoch umstritten. Es gibt eine verbreitete Praxis, dass bewaffnete Einheiten geschickt werden, wenn eigene Staatsangehörige bedroht werden. Die Amerikaner haben 1983 in Grenada und 1989 in Panama ihr militärisches Eingreifen so gerechtfertigt, die Russen ihre Intervention in Südossetien 2008. Dies ist sehr problematisch, weil damit das völkerrechtliche Gewaltverbot gelockert wird. Aber da sich Völkerrecht aus der Staatenpraxis entwickelt, kann, wenn derartige Aktionen von der Staatengemeinschaft nicht kritisiert werden, auch ein solches Verhalten als Selbstverteidigung verstanden werden. Die Annexion eines Territoriums, in dem die zu schützenden Bürger leben, ist allerdings auf keinen Fall gerechtfertigt.
Unabhängig von allen Gefahren und Gefährdungen gibt es auf der Krim aber auch noch den Wunsch der Menschen, sich Russland anzuschließen.
Das Prinzip der territorialen Integrität findet sich in der UN-Charta, das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch. Die beiden Rechtsfiguren stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Es gibt ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag zum Kosovo aus dem Jahr 2010. Darin heißt es, das Völkerrecht erlaubt die Unabhängigkeitserklärung nicht. Aber es verbietet sie auch nicht.
Was bedeutet das?
Was sich aus einer Unabhängigkeitserklärung ergibt, ob ein Staat entsteht, das hängt von den Fakten ab. Es braucht dazu ein Territorium, ein Volk – und insbesondere eine effektive Staatsgewalt, die nicht vom ehemaligen Zentralstaat abhängig ist.
Lässt es sich erkennen, dass – wenn auch nur für kurze Zeit – ein unabhängiger Staat Krim entstanden ist, der dann der russischen Föderation beitreten konnte?
Staatsgebiet und Staatsvolk lassen sich vielleicht ausmachen. Eine effektive Staatsgewalt kaum. So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. Es war schließlich noch ukrainisches Militär auf der Halbinsel, ukrainische Polizei und eine ukrainische Verwaltung. Effektivität hat immer etwas Nachhaltiges.
Das bedeutet, der Wunsch der Krimbewohner zählt nicht?
In diesem Fall nicht. Nur wenn der Territorialstaat – hier die Ukraine – die innere Selbstbestimmung, das heißt, das Recht einer Minderheit innerhalb eines Staates etwa durch Autonomierechte die kulturelle Identität zu wahren, massiv verletzt, könnte die Möglichkeit entstehen, dass sich die entsprechende Einheit lossagen kann. Der UN-Sicherheitsrat hat das aber nicht einmal im Falle des Kosovo angenommen, trotz der gravierenden Vorfälle. Das Kosovo bleibt aus UN-Sicht bis zu einer bilateralen Regelung zwischen Serbien und dem Kosovo ein integraler Bestandteil Serbiens.