Die katholische Kirchengemeinde hat in Oppelsbohm zurzeit kein Gotteshaus. Also finden die Gläubigen am Heiligen Abend Unterschlupf in einem Stall – so wie einst die schwangere Maria und ihr Mann Josef im Heilgen Land.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Berglen - Maria und Josef warten am Heiligen Abend am Ortsausgang zu Rettersburg auf ihren ersten großen Einsatz. Es ist ziemlich duster und kühl. Nur ein winziger Scheinwerfer sorgt auf dem freien Feld neben dem Vereinsheim für ein klein bisschen Licht in der Dunkelheit. Die beiden Kinder, die Maria und Josef mimen, sind aufgeregt, denn das traditionelle Krippenspiel muss diesmal ganz anders ablaufen als sonst.

 

Die katholischen Kirchengemeinde in den Berglen hat heuer nämlich ein echtes Problem, das frappierend an die Heilige Familie auf ihrem Weg nach Bethlehem erinnert: kein Dach über dem Kopf. Die Kirche Sankt Maria im Nachbarort Oppelsbohm, in der sonst immer Weihnachten gefeiert worden ist, gibt es nicht mehr. Sie wurde kürzlich abgerissen. Zurzeit entsteht in dem Flecken zwar ein Neubau, der aber ist längt noch nicht fertiggestellt. Bis dato steht nicht mal der Rohbau. Wo also hin?

„Flüchtlinge mit ins Herz nehmen“

„Maria und Josef stehen in den Startlöchern“, sagt Brigitte David, die Gemeindereferentin der katholischen Kirche. Und dann beginnt der Gottesdienst – zunächst unter freiem Himmel. Josef sagt zu Maria: „Ich glaube, wir sind bald in Bethlehem.“ Und tatsächlich, in der Ferne ist ein schummerig beleuchteter Stall zu erahnen. Maria antwortet: „Oh Josef, ich habe so Angst.“

„Flüchtlinge mit ins Herz nehmen“

Die Theologin Brigitte David erinnert die geschätzt gut 100-köpfige Gemeinde, die auf dem Parkplatz am Ortsrand von Berglen-Rettersburg zusammen gekommen ist, daran, dass sich auch dieser Tage wieder viele Menschen aus fernen Ländern auf den Weg nach Europa machen. Sie ruft die Gottesdienstbesucher dazu auf, diese Flüchtlinge „mit ins Herz zu nehmen“.

Zum Gottesdienst gekommen wie die Jungfrau zum Kinde

Nach einem etwa viertelstündigen Marsch durch die Dunkelheit erreichen Maria, Josef und die ganze Gesellschaft ihre Herberge – den Schafstall der Familie Blessing, der allein auf weiter Flur am Waldrand steht. Der Hausherr heißt Jochen Blessing. Er ist Forstwirt und Nebenerwerbslandwirt. Und er erzählt augenzwinkernd, dass er zu diesem Weihnachtsgottesdienst gekommen sei wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde.

Vor ein paar Monaten hatten drei Kirchengemeinderäte bei dem Mann mit der wettergegerbten Haut und dem freundlichen Lachen vorbei geschaut und angefragt, ob die Gemeinde am 24. Dezember wohl ausnahmsweise Unterschlupf in seinem Schafsstall finden könne. Jochen Blessing hat nicht lange überlebt. Er hat spontan zugesagt und den Stall für das Krippenspiel, für die ganze Gemeinde, für die Feier der Ankunft des Retters in Rettersburg herausgeputzt. Für die Gäste, die weniger gut zu Fuß sind, stehen Bänke bereit. Eine Krippe für das Jesuskind ist aufgebaut. Im Entree stehen Weihnachtsbäume.

Nebenan blöken ein paar Schafe, laufen wild durcheinander

Josef ruft: „Ich glaube unser Kind kommt noch heute zur Welt.“ Wenig später liegt es dann im Heu und im Stroh. Ein Engel verkündet die frohe Botschaft, Hirten sind die ersten, die von der Geburt Gottes Sohns erfahren, „ganz einfache Leute“, sagt Frau David. Und gleich nebenan, in einem abgesperrten Teil des Stalls, blöken ein paar Schafe und laufen wild durcheinander. So eine Invasion von Gläubigen haben die Vierbeiner halt noch nie erlebt.

Bitte um mehr Gerechtigkeit

Nach einem Gebet mit der Bitte um mehr Gerechtigkeit, um mehr Wärme zwischen den Menschen, um „einen Glauben, der uns gut tut,“ nach dem Vaterunser und nach „Stille Nacht“ machen sich alle Gottesdienstbesucher auf den Heimweg. Später gibt es dann in den guten Stuben in Retterburg, in Oppelsbohm und in allen anderen Wohnorten der Stallgäste die Geschenke, auch für Maria und Josef.