Die Bahn genehmigt die kurze Andacht an Heiligabend im Stuttgarter Hauptbahnhof nicht mehr. Eine Erklärung gibt es noch nicht. Die veranstaltende Evangelische Gesellschaft zeigt sich von der Absage überrascht – und enttäuscht.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Eine fast 65 Jahre währende Tradition droht ein jähes Ende zu nehmen. Die Deutsche Bahn genehmigt überraschend nicht mehr den Auftritt eines evangelischen Posaunenchors an Heiligabend im Stuttgarter Hauptbahnhof.

 

Die kurze Andacht zwischen Bahnsteigdurchsagen und Zuglärm bot all jenen wenigstens etwas weihnachtliche Stimmung, die an diesem besonderen Abend mit der Bahn unterwegs sein mussten. Doch auch viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter besuchten die Feier, um an diesem etwas ungewöhnlichen Ort auf eigene Art und Weise Heiligabend zu begehen. Den meist mehr als 50 Musikerinnen und Musiker stand nicht selten eine mehr als doppelt so große Zuhörerschar gegenüber.

Die Evangelische Gesellschaft bestätigt die Absage

Veranstalterin des musikalischen Intermezzos in der Querbahnsteighalle des Bonatzbaus ist die Evangelische Gesellschaft (eva). „Ich kann bestätigen, dass das Konzert des Posaunenchors dieses Jahr nicht stattfinden kann“, sagt eine Sprecherin der eva auf Anfrage. Die Bahn habe „kurzfristig“ die Zusage zurückgezogen. Zu den Beweggründen des Hausherrn am Hauptbahnhof weiß man bei der eva nichts. „Wir warten nun eine schriftliche Begründung der Bahn ab“, sagt die Sprecherin. Noch liege die aber nicht vor. Erst wenn sich die eva mit den Gründen habe beschäftigen können, ließe sich mehr sagen. Erst dann wolle man auch die Öffentlichkeit informieren.

Ob es eine Alternative zum Treffpunkt im Hauptbahnhof geben wird, war auf die Schnelle nicht zu erkunden. Die Enttäuschung über das überraschende Aus war der Sprecherin anzuhören. „Wir bedauern das sehr.“

Der „Stall“ findet trotzdem statt

Die zweite große Veranstaltung, mit der sich die eva an Heiligabend an Menschen wendet, die sonst alleine wären, ist von der Absage nicht betroffen. Im sogenannten „Stall“ im Haus der Diakonie, Büchsenstraße 34/36, wird von 15 Uhr an bei typisch schwäbischem Heiligabend-Essen gefeiert: Kartoffelsalat und Saitenwürstle. Den Abschluss bildet der Besuch des Weihnachtsgottesdienstes um 20 Uhr in der Leonhardtskirche

Die Tradition der Weihnachtsandacht im Stuttgarter Bahnhof wurde Ende der 40er-Jahre begründet. Damals wollte die evangelische Kirche Kriegsheimkehrern einen besinnlichen Willkommensgruß bieten. Später hatte die Kirche vor allem jene Gastarbeiter im Sinn, die sich an Heiligabend aufmachten zu ihren Familien in den Heimatländern. Noch heute wurde die Feier meist von ausländischen Geistlichen mitgestaltet, die sich in vielen verschiedenen Sprachen mit der Weihnachtsbotschaft an die Mitfeiernden wendeten. Ähnliche Veranstaltungen gibt es in Bahnhöfen vieler großer Städte in der Republik. So spielen Posaunenchöre an Heiligabend auch in den Bahnhöfen etwa in Berlin, Hannover und in Magdeburg.

Bahn kann noch keine Begründung liefern

Die Deutsche Bahn konnte sich am späten Montagnachmittag zu dem Vorgang nicht äußern, da der zuständige Mitarbeiter nicht zu erreichen gewesen ist. Ein Mitarbeiter der Pressestelle erkannte aber den „emotionalen Charakter“, den eine solche Entscheidung haben könnte.