Aber Augustinus hat auch nach seiner Bekehrung gesündigt und als Bischof eine Politik betrieben, die man heute sehr kritisch sieht.
Begrenzungen, begrenzte Urteile, begrenzte Optionen charakterisieren einen Menschen immer. Es geht aber darum, wie sich ein Mensch in den Bedrängnissen seiner Zeit bewährt. Wir sollten da nicht auf äußerliche Klischees, auf Verhaltensschemata schauen. Wir beurteilen heute die Authentizität eines Menschen wesentlich komplexer als in früheren Zeiten, und jeder weiß, dass Begrenzungen und das Wissen um Begrenzungen immer dazu gehören. Papst Johannes XXIII hat sich selbst gesagt: Johannes, nimm dich nicht so wichtig. Das ist für mich ein deutliches Signal für Authentizität.
Wenn man einen Menschen heiligspricht, spricht man also auch seine Sünde heilig?
In gewisser Weise: Ja. Es wird der Sünder heilig gesprochen. Auch das Eingeständnis von Begrenzungen, von Sünden kann für den Menschen ja zum Segen werden.
Es gibt auch Päpste, die auf der Leiter zur Heiligsprechung stehen, aber in ihrer Zeit auch nicht unbedingt das gemacht haben, was die Menschen von ihnen erwarten konnten. Pius XII. zum Beispiel, dem man vorwirft, zur Vernichtung der Juden unter den Nazis geschwiegen zu haben.
Wobei dieser Mann wirklich sehr darum gerungen hat, wie er Stellung nehmen sollte zum heraufziehenden Unheil. Im Frühjahr 1939 wurde er zum Papst gewählt, und dann veröffentlichte er gleich eine Enzyklika über die Grundfragen des Völkerrechts. Er sieht, was sich zusammenbraut, und er möchte als Papst seine Position klar stellen. Er wählt diesen Weg. Während des Krieges hat er dann vielen Juden geholfen. Sicher, öffentlich hat er nicht protestiert. Aber die holländischen Bischöfe haben das getan – mit der Folge, dass die Gestapo nur umso schärfer gegen die holländischen Juden vorging und alle in die KZs transportierte. Davor hatte Pius natürlich auch Angst, in viel größerem Maßstab. Aber er hat sich sehr stark bemüht, und wenn manche Leute heute meinen, das war kein „heroischer Tugendgrad“ (als Vorstufe zur Seligsprechung, Anmerkung der Redaktion), dann bin ich mir da nicht so sicher.