Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Die der Offners hielt bisher stand. „Wir haben Paris geschafft, uns kann nichts schrecken“, sagt Andrea Offner. Während sich viele Ehefrauen nach dem ersten Kulturschock in der Wohnung verbarrikadieren, ging Andrea Offner in Paris in die Offensive. Unter der Woche studierte sie, um wieder arbeiten zu können. Am Wochenende stellte sie sich vor das Centre Pompidou und sang. Dabei lernte sie Jama kennen, einen Vietnamesen, der sie fortan begleitete und mit dem Hut herumging. „Nach unseren Auftritten kauften wir dann mit den Münzen Kaffee für alle“, erzählt Andrea Offner. Sie legte sich außerdem einen Hund zu, was ihrem Französisch zugutekam: „Ich spreche fließend, wenn es um Fellrasur und Flöhe geht!“Nach drei Jahren Paris zogen sie zurück in die USA, diesmal nach Alabama. „Das war wie ein neues Land“, sagt Andrea Offner. Jan verließ die Firma, wurde Handelsattaché für die belgische Regierung. Es folgten etliche Umzüge innerhalb der USA, davon zwei in Alabama, weitere sechs im Großraum Dallas. Dazu kamen zwei Kinder, Claudia und Michael, und eine pflegebedürftige Mutter. „Unsere sesshaften Jahre“ nennt Andrea Offner diese Zeit. „Doch innerlich zog es uns in die Ferne.“

 

Im Jahr 2009 geriet das Leben wieder mehr in Bewegung. „Zunächst hieß es Prag – ich hatte schon mit Tschechischunterricht begonnen – dann aber auf einmal Stuttgart. Mir war das einerlei, mir war alles gleich fremd“, sagt Andrea Offner. Sie besorgte sich ein dickes Stuttgart-Buch, das der hiesige German-American Women’s Club herausgibt. Vier Monate vor dem Umzug wusste sie alles über „Nachbarschaftsstreit“, „Kehrwoche“ und typische Verhaltensmuster: dass Deutsche mit Komplimenten sparen. Dass sie in Fahrstühlen schweigen. Dass man in kurzen Gesprächspausen auf keinen Fall das Thema wechseln sollte, wie es die Amerikaner zu tun pflegen. „Die Leute denken sonst, man sei uninteressiert oder oberflächlich“, heißt es in dem Kapitel „Konversation“.

Wieder machten sie Fehler, schauten nicht in das Kleingedruckte des Mietvertrags, wählten überteuerte Versicherungen. Doch sie ärgern sich nicht mehr darüber. „Wir müssen immer so viele Entscheidungen treffen: welches Haus, welche Schule, welches Auto? Da wird nicht lang gefackelt“, sagt Andrea Offner. Ihnen liegt auch nicht daran, ihr Mobiliar perfekt aufeinander abzustimmen, wie andere es in ihrer Gehalts- und Altersklasse zu tun pflegen. Die Einrichtung setzt sich zusammen aus Sperrholzregalen von Ikea, antiken Buffets aus Belgien, gerahmten Stickbildern aus Amerika und massigen Ledersesseln von Möbel Hofmeister.

Eine amerikanische Parallelwelt in Stuttgart

Vom ersten Tag an nistete sich die Familie in Stuttgarts amerikanischer Parallelwelt ein. Die Kinder wurden in der International School of Stuttgart (ISS) angemeldet, eine Privatschule in Degerloch, in der ausschließlich auf Englisch unterrichtet wird. Andrea Offner bewarb sich als Lehrerin beim Deutsch-Amerikanischen Institut. Ihre Bühne wurde das Stuttgart Theatre Center in den Möhringer Kelley Barracks. Ihr soziales Netzwerk speist die Familie aus den 4650 amerikanischen Expats, die im Großraum Stuttgart leben – US-Militärfamilien nicht mitgerechnet.

Das frisch vermählte Paar ahnte bald, dass Paris ihre Beziehung auf die Probe stellen würde. Bei der American Church of Paris entdeckte Andrea Offner schließlich den Ratgeber „Bloom where you’re planted“ (Blühe, wo du gepflanzt wirst), der einen festen Platz in ihrer Handtasche bekam. Sie fand darin eine Menge praktischer Tipps – über den Gebrauch des Bidets bis hin zu Adressen von 60 englischsprachigen Organisationen in Paris. Die Eheleute tauchten dort ein, wo sie ihresgleichen fanden: in die Expat-Gemeinde.

Den Kulturschock, den Expats gewöhnlich erleben, beschreiben Anthropologen mit der sogenannten W-Kurve: Anfangs ist die Euphorie groß über das Neue, doch schon bald folgt der Kulturschock und eine Phase der Ernüchterung. Nach ungefähr einem Jahr findet sich der Expat allmählich in der Fremde zurecht. Naht die Rückkehr, beginnt erneut eine Phase der Euphorie, die oft wieder in eine Enttäuschung mündet. Wieder braucht es ein Jahr, bis sich der Rückkehrer akklimatisiert hat. Mittlerweile gibt es „Expat Coaches“, die von diesen Anpassungsschwierigkeiten leben. Sandra Seibert aus Bamberg, die selbst sechs Jahre in Michigan gelebt hat, ist so eine Beraterin. „Ich habe es mit Ehefrauen zu tun, die im Ausland einen Teil ihrer Identität verloren haben, die auf einmal nicht mehr wissen, was sie ausmacht“, erzählt sie. Betroffen seien häufig Frauen, die vorher im Beruf standen. Viele Ehen zerbrächen daran.

Ein Leben in Bewegung

Die der Offners hielt bisher stand. „Wir haben Paris geschafft, uns kann nichts schrecken“, sagt Andrea Offner. Während sich viele Ehefrauen nach dem ersten Kulturschock in der Wohnung verbarrikadieren, ging Andrea Offner in Paris in die Offensive. Unter der Woche studierte sie, um wieder arbeiten zu können. Am Wochenende stellte sie sich vor das Centre Pompidou und sang. Dabei lernte sie Jama kennen, einen Vietnamesen, der sie fortan begleitete und mit dem Hut herumging. „Nach unseren Auftritten kauften wir dann mit den Münzen Kaffee für alle“, erzählt Andrea Offner. Sie legte sich außerdem einen Hund zu, was ihrem Französisch zugutekam: „Ich spreche fließend, wenn es um Fellrasur und Flöhe geht!“Nach drei Jahren Paris zogen sie zurück in die USA, diesmal nach Alabama. „Das war wie ein neues Land“, sagt Andrea Offner. Jan verließ die Firma, wurde Handelsattaché für die belgische Regierung. Es folgten etliche Umzüge innerhalb der USA, davon zwei in Alabama, weitere sechs im Großraum Dallas. Dazu kamen zwei Kinder, Claudia und Michael, und eine pflegebedürftige Mutter. „Unsere sesshaften Jahre“ nennt Andrea Offner diese Zeit. „Doch innerlich zog es uns in die Ferne.“

Im Jahr 2009 geriet das Leben wieder mehr in Bewegung. „Zunächst hieß es Prag – ich hatte schon mit Tschechischunterricht begonnen – dann aber auf einmal Stuttgart. Mir war das einerlei, mir war alles gleich fremd“, sagt Andrea Offner. Sie besorgte sich ein dickes Stuttgart-Buch, das der hiesige German-American Women’s Club herausgibt. Vier Monate vor dem Umzug wusste sie alles über „Nachbarschaftsstreit“, „Kehrwoche“ und typische Verhaltensmuster: dass Deutsche mit Komplimenten sparen. Dass sie in Fahrstühlen schweigen. Dass man in kurzen Gesprächspausen auf keinen Fall das Thema wechseln sollte, wie es die Amerikaner zu tun pflegen. „Die Leute denken sonst, man sei uninteressiert oder oberflächlich“, heißt es in dem Kapitel „Konversation“.

Wieder machten sie Fehler, schauten nicht in das Kleingedruckte des Mietvertrags, wählten überteuerte Versicherungen. Doch sie ärgern sich nicht mehr darüber. „Wir müssen immer so viele Entscheidungen treffen: welches Haus, welche Schule, welches Auto? Da wird nicht lang gefackelt“, sagt Andrea Offner. Ihnen liegt auch nicht daran, ihr Mobiliar perfekt aufeinander abzustimmen, wie andere es in ihrer Gehalts- und Altersklasse zu tun pflegen. Die Einrichtung setzt sich zusammen aus Sperrholzregalen von Ikea, antiken Buffets aus Belgien, gerahmten Stickbildern aus Amerika und massigen Ledersesseln von Möbel Hofmeister.

Eine amerikanische Parallelwelt in Stuttgart

Vom ersten Tag an nistete sich die Familie in Stuttgarts amerikanischer Parallelwelt ein. Die Kinder wurden in der International School of Stuttgart (ISS) angemeldet, eine Privatschule in Degerloch, in der ausschließlich auf Englisch unterrichtet wird. Andrea Offner bewarb sich als Lehrerin beim Deutsch-Amerikanischen Institut. Ihre Bühne wurde das Stuttgart Theatre Center in den Möhringer Kelley Barracks. Ihr soziales Netzwerk speist die Familie aus den 4650 amerikanischen Expats, die im Großraum Stuttgart leben – US-Militärfamilien nicht mitgerechnet.

Michael, der elfjährige Sohn der Offners, schlägt etwas aus der Reihe. Er besucht jetzt ein deutsches Gymnasium, spricht fast fließend Deutsch und hat hier gute Freunde gefunden. Er wird Stuttgart vermissen. „Von mir aus könnte alles so bleiben“, sagt er. Seine Schwester Claudia sieht dem Umzug nach Paris hingegen freudig entgegen. „Meine Freundin ist im vergangenen Sommer auch dahin gezogen“, sagt sie. An der ISS herrsche ein ständiges Kommen und Gehen. „Das ist ganz normal.“

Auch für Kinder wie Michael und Claudia hat die Fachwelt einen Terminus entwickelt: Drittkulturkinder. Wissenschaftler haben beobachtet, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft, die mehrmals die Kultur gewechselt haben, gut miteinander harmonieren – fast so, als gehörten sie einer eigenen Kultur an. Stark verallgemeinert haben diese Kinder ähnliche Charaktermerkmale: Sie können sich rasch auf unbekannte Situationen einstellen. Viele werden rastlos wie die Eltern. Viele tun sich schwer, Bindungen einzugehen. „Kinder wollen eigentlich, dass alles seinen festen Platz im Leben hat“, sagt die Beraterin Sandra Seibert. „Umzüge erschüttern die Welt eines Kindes, vor allem wenn es beginnt, Freundschaften zu schließen.“ Das Risiko einer labilen Psyche sei deutlich erhöht, besonders dann, wenn die Eltern selbst mit einigen Problemen zu kämpfen hätten. „Schließlich ist die Familie ja die einzige Konstante.“

„Verlier nie dein Surfboard, du musst die Wellen reiten, wie sie kommen.“ Andrea Offner hat immer eine passende Redewendung parat, wenn sie über ihr Leben als Expat spricht. Sie vergleicht sich auch gern mit einer Schildkröte: „Ich trage mein Haus mit mir herum.“ Ihr Haus, das sind viele kleine Gegenstände aus ihrem bisherigen Leben, die ihr eine dauerhafte Identität verleihen sollen. Sie hat sie auf einer Kommode in ihrem Arbeitszimmer drapiert. „Mein Altar“, scherzt sie. Darauf liegen ein grüner Plastikelefant, eine längst vertrocknete Pflanze, ein Kieselstein, eine Halskette, ein Döschen mit einem Haarbüschel („von meiner Großmutter nach dem Schlaganfall“) und viele andere mit Erinnerungen behaftete Dinge.

Immer wieder wird Andrea Offner gefragt, wo sie sich heute heimisch fühlt. Dann erzählt sie von der Unterhaltung zweier Betrunkener in einer Spelunke in Tuscaloosa, Alabama. Sie stritten sich darüber, ob die Stadt nun westlich oder östlich vom Äquator liege. Seither antwortet Andrea Offner immer: „Meine Heimat liegt östlich vom Äquator.“