Jahrelang war die DVD die Melkkuh der Filmwirtschaft. Nun aber gehen die Absatzzahlen zurück. Die Hollywood-Studios nehmen das ernst.

Stuttgart - Das Kriegsgeheul in der Filmbranche wäre vor ein paar Jahren viel wilder ausgefallen. Als Produzenten, Verleiher und Kinobetreiber vergangene Woche die Serverabschaltung der längst jedem Schulkind bekannten Raubkopiendrehscheibe Kino.to kommentieren durften, klang ihre Begeisterung eher pflichtschuldig. "Ein wichtiger Schlag gegen die Filmpiraterie", so beteten sie brav ihr Vaterunser herunter. Intern aber diskutierten sie pragmatisch darüber, wie lange es wohl noch dauern werde, bis die Nutzer von kino.to die einschlägigen anderen Piratenangebote im Netz entdeckten.

 

Diese neue Nüchternheit hat nicht nur damit zu tun, dass auch die Akteure der Filmwirtschaft die juristischen und sozialen Entgrenzungen des Internets begriffen haben. Die Einsicht, dass die Kino.to-Schließung nur vorläufig ist, die Erkenntnis, dass die eigene Zufriedenheit an den Strandläufer mit den durchnässten Schuhen erinnert, der zur Strafe dem Meer einen kräftigen Tritt verpasst, hat mit einer fundamentalen neuen Verunsicherung zu tun. Der Filmmarkt ist in Bewegung, und es gibt Vorzeichen einer Krise, die weit über die Piraterieschäden hinausgeht: der Heimkinomarkt schrumpft.

Sehgewohnheiten veränderten sich

In all den Jahren, in denen Breitbandanschlüsse nun schon große Datenmengen in fast jeden Privathaushalt übertragen können, sind die Kinobesucherzahlen kontinuierlich zurückgegangen. Zugleich aber ist der Heimkinomarkt enorm gewachsen. Im Jahr 2000 betrug der Umsatz mit Kauffilmen in Deutschland 554 Millionen Euro, 2010 1,4 Milliarden Euro. Dass sich also Sehgewohnheiten geändert haben, dass sich die Gewinne der Filmindustrie eher verlagert als im Internet aufgelöst hatten, wollte man lange weder zugeben noch diskutieren. Zum einen sollte der Kampf gegen die Piraterie nicht erlahmen, zum anderen sollten durch die Wehklagen der Produzenten und Verleiher auch die Kinobetreiber getröstet werden. Die hatten ja nichts davon, dass Kinoflops sich mit Verzögerung auf DVD dann doch noch als halbwegs profitabel erwiesen.

Rückläufige DVD-Absätze im traditionell starken ersten Quartal des Jahres aber haben Schockwellen durch die Branche geschickt, wie das im Alarmdeutsch der Bilanzdeuter heißt. Fünf Prozent minus statt fünf Prozent plus in vielen Ländern gleichzeitig, das mag angesichts von gelegentlichen Abschwüngen in anderen Branchen nicht wie der Beginn der großen Zeitenwende aussehen. Doch gerade die großen US-Studios sind alarmiert, haben die Zahlen durchanalysiert und den Rotstift angesetzt. Personal wird entlassen, Abteilungen werden zusammengelegt, die internen Prognosen drastisch revidiert.

Wenn die Filmregale zu Hause voll sind

Stärker als im Heimkinobereich selbst wirken sich die Sparmaßnahmen im Bereich der neuen Filmproduktionen aus. Man glaubt nicht mehr, dass die großzügigen Risikokalkulationen der vergangenen Jahre, die auf Heimkinogewinne setzten, noch lange vertretbar sein werden. Ein Debakel wie Disneys "Mars needs Mom", der in Deutschland als "Milo und Mars" gerade wieder aus den Kinos verschwand, stärkt jene, die aufs Sparen drängen. Über 150 Millionen Dollar Produktionskosten stehen weltweite Einnahmen von knapp 40 Millionen Dollar gegenüber. Die Differenz wird der DVD-Verkauf nicht ausgleichen.

Dass viele Filmindustrien im Vertrauen auf gute DVD-Umsätze so lange immer schwächere Ware ins Kino brachten, bis das Publikum die Lust zu verlieren begann, die im Kino ausgelassenen Werke am Bildschirm nachzusitzen, ist aber nur eine mögliche Ursache für den schwächelnden Heimkinosektor. Als die DVD aufkam, wurde das Phänomen bestaunt, dass DVD-Sammlungen die Rolle der bildungsbürgerlichen Bücherwand von einst übernahmen. Der stagnierende Absatz der Industrie nährt nun den Verdacht, dass langsam eine gewisse Marktsättigung erreicht ist: die Regale und Wohnungen der älteren Filmfreunde sind voll.

Neue Konkurrenz durch Facebook & Youtube

Bei jüngeren Konsumenten muss es nicht unbedingt die Piraterie sein, die von der DVD wegführt. Die Aufmerksamkeitsbindung durch soziale Netzwerke wie Facebook und täglich Hunderte von Youtube-Clip-Empfehlungen per Mail und per Kollegentratsch dürfte ebenso zum DVD-Verzicht beitragen wie das zeitintensive Erkunden von Computerspielwelten.

Dass künftig weniger Risikokapital für bombastische Unterhaltungsfilmprojekte zur Verfügung stehen werde, sei kein Verlust, könnten nun jene triumphieren, die seit ein paar Jahren über die Seichtheit des Kinos schimpfen und auf den Mut, den Witz, die Tiefe und Komplexität der neuen Fernsehserien, vor allem jene des US-Kabelsenders HBO, verweisen. "The Wire", "Mad Men" und "Deadwood", finden sie - mit gutem Grund -, seien interessanter und bedeutsamer als fast alles, was Hollywood anzubieten habe.

Das Problem ist nur, dass die neuen Umschichtungen weder vor dem US-Fernsehen noch vor dessen Bezahlsendern haltmachen. In den USA wird gerade eine harte Deutungsdebatte über den Abonnentenschwund im Pay-TV geführt. Vorübergehend stimme eben der Angebotsmix nicht, beruhigen die einen. Für die anderen aber deuten die Zahlen darauf hin, dass Nutzer auf den günstigen Dienst Netflix im Internet umsteigen. Dessen Geschäftsmodell - bezahlte Streamings - sei zwar ein Bollwerk gegen die Gratismentalität im Netz, aber aus Netflix-Gebühren ließen sich keine Serien wie "Mad Men" finanzieren. Die großen Serien, wird dann gekontert, finanzierten sich ja gar nicht allein über die Abogebühren, sondern über die guten DVD-Verkäufe. Womit wir dann wieder bei der Frage wären, ob der DVD-Markt nur für zweitklassige Ware nachgibt oder generell der große Abschwung einsetzt.

Der Heimkinomarkt in Deutschland

Anfangsverdacht
Schon 2010 kam das rasante Wachstum des deutschen Heimkinomarkts ein wenig ins Stocken. Das Plus betrug nur noch zwei Prozent. Im Jahr davor hatte das Wachstum von DVD und Blu-ray noch acht Prozent betragen. In den Bilanzen für 2011 könnte nach den bisherigen Zahlen ein Rückgang von fünf bis acht Prozent stehen.

Preisverfall
Seit Jahren klagen die DVD-Labels über die Schnäppchenmentalität der Filmkäufer, die von den Sonderaktionsschlachten der großen Elektromärkte vorangetrieben werde. Sie selbst allerdings legen Billigserie nach Billigserie auf. 2010 kostete eine DVD im Schnitt noch 11,51 Euro. Rettung sollte die Blu-ray bringen. Die aber erreicht bisher noch nicht einmal zehn Prozent der Haushalte, wird aber bereits immer öfter für noch knapp zweistellige Preise angeboten.

Käufergrenzen
Nach Jahren des Wachstums wurden 2005 19,3 Millionen Filmkäufer in Deutschland errechnet. 2010 waren es noch 19,1 Millionen. 47 Prozent der Käufer waren über vierzig Jahre alt.