Am Montagabend lieferte Helene Fischer eine farbenprächtige Bühnenshow in der Schleyerhalle. Dabei bewies die sonst so akrobatische 30-Jährige allerdings erstaunlich viel Bodenhaftung.

Stuttgart - Oh oh. In zwei Silben entlädt sich die Spannung in der Stuttgarter Schleyerhalle derart inbrünstig, als habe das Publikum fast dreieinhalb Stunden lang die Luft angehalten. „Atemlos“ – Helene Fischers multikompatibler Erfolgssong, den mittlerweile die Aura eines WM-Siegers und Wunderheilers zugleich umweht – ist der definitive Schlusspunkt, verpackt in den Zugabenteil. Danach kann nichts mehr kommen, das muss dann auch reichen für diesen Montag. Schließlich ist die 30-Jährige am nächsten Abend  am gleichen Ort wieder am Start für denselben musikalischen Marathon.

 

Die physische Hochleistung, die der derzeit glänzendste Stern am Schlagerhimmel  mit seiner „Farbenspiel“-Tournee an den Tag legt, beginnt mit einem Wake-up-Programm: „Das ist unser Tag“, „Und morgen früh küss ich Dich wach“. Es folgt eine mit Rap- und Salsaelementen gespickte „Fehlerfrei“-Version, bei der Miss Perfect sympathischerweise genau ein Mal an diesem langen Abend einen einzigen Einsatz verpasst – und die im „Daft Punk“-Funk mit den Zeilen „Up all Night to get lucky“ endet.

Ein überraschend schöner Mix, den die Fischer in Herrenhut und hochbündiger Satin-Bundfaltenhose auch glänzend verkörpert, und der einen kurzzeitig vergessen lässt, dass diese bezaubernde Projektionsfläche eigentlich  alles kann außer cool. Beim Rock- Medley aus Bon Jovi und Van Halen kehrt diese Erkenntnis dann allerdings mit voller Wucht zurück. Zumal der von Anfang an zu mächtige Wummersound in der Halle die  zarte Sängerin in diesem Heavy-Middle-Teil stimmlich so an die Wand drückt, dass sie in den Höhen klirrend kalt, fast blechern klingt, und  leise Zwischentöne von vornherein ausschließt. Ein ähnliches Schicksal erleidet die Violine aus Helenes weiblichem Streicher-Trio im Zwischenspiel mit der E-Gitarre, bevor sie mit ihrem eigenen Vier-Jahreszeiten-Solo groß rauskommen darf.

Jeder Klassiker ist bis ins Detail inszeniert

Aber bis dahin setzt es ja noch einige Helene-Klassiker, von denen  jeder einzelne bis ins Detail inszeniert ist, präsentiert in Bühnenoutfits, die immer etwas ausgezogener aussehen als sie eigentlich sind: Das eigentlich treibende „Mitten im Paradies“ wird zum lahmen Schieber, zu dem sich die Sängern in schwarzen Hotpants bewegt wie  eine rhythmische Sportgymnastin in Zeitlupe, „Wunder dich nicht“ behält seinen Kalinka-Stil  – soweit es der knallenge, lederne Bleistiftrock zulässt. Schummriges Rotlicht macht „Nur wer den Wahnsinn liebt“ zur bluesig-anzüglichen Nummer. Bei allem Farbenspiel wird der Tuschkasten allerdings erfreulich dosiert eingesetzt (mal abgesehen vom Däumelinchen-Auftritt im apricotfarbenen Hosenanzug und überdimensionierten pinkfarbenen Blütenkelch): Helene Fischers schwarz lackierte Fingernägel kontrastieren mit den strahlend weißen Zähnen. 250 ausgewählte Fans im Graben    tragen weiße T-Shirts, die farblich permanent neu ausgeleuchtet werden. Nur einer hat sein graues „Rock am Ring“-Shirt an. „Macht doch nix“, zwinkert ihm Helene zu – was jetzt gewollter klingt als es tatsächlich wirkt.

Herrlich herzlich nimmt sie die Fangeschenke entgegen, lässt sich auch durch ungeduldige „Helene“-Brunftschreie  nicht drängeln. Sie scherzt über ihre Omnipräsenz auf allen Kanälen, die ihr selber schon manchmal zuviel werde, und die „Fühl-dich-gut“-Badesalze, die ihr zugesteckt werden – und scheint im Handumdrehen eine Unmenge unsichtbarer Kristalle mit ebendieser Wirkung in der Halle verteilt zu haben. Das macht deutlich mehr her als der Schmelz, den die Sängerin in den italienischen Caruso-„Augenblick“ legt, und eigentlich auch mehr als der goldene Flugsaurier, auf dessen Rücken geschnallt die Überfliegerin mit Celine Dion auf den Lippen durch die Luft segelt – bevor die Maschine gemächlich  in der Mitte der Halle aufsetzt.

Die Sängerin zeigt überraschend viel Bodenhaftung

Auch der Einsatz des Riesenvogels kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das sonst so akrobatische Tanztalent in dieser Show überraschend viel Bodenhaftung zeigt. Um die Sonnenkönigin des Schlagers kreist ihr Planetensystem aus Band und zwölf hervorragenden Tänzern nur noch in berührungsloser Umlaufbahn. Während sie einst locker als Teil der Kompanie durchgegangen wäre, der noch höher durch die Luft wirbelte als die anderen und auch den dichtesten Choreografien Anmut verlieh, lässt sich   Helene Fischer jetzt als gesetzte Diva auf die Bühne stellen, die sich auf ein paar Vor-, Seit-, Wechselschritte und angedeutete Hüftschwünge beschränkt und über ein Laufband in Bewegung gehalten wird.

Nur einmal setzt sie ihre S-Kurve im glitzernden, bauchfreien Discoanzug auf den gestreckten Armen der Tänzer in Szene. Ihr glitzerndes Mikrofon aber tauscht die Powerfrau nie gegen das Headset ein. Ist die plötzliche Bewegungsphobie gar der Preis fürs hitreiche, aber überlange Bühnenprogramm? Dann wäre weniger vielleicht mehr gewesen.  Aber dafür reißt sie ja am Ende die anderen vom Hocker.