Und ja: man duzt sich in den Meisterkursen, geht achtsam miteinander um und bildet eine große Familie, deren gütiger Vorstand eben der perfekt Spanisch sprechende Rilling ist. Alle Musiker, auch die aus Stuttgart angereisten, sind erheblich jünger als er. Mit großer Geduld, nie ins Autoritäre kippend, unterrichtet der Großvater seine Enkelkinder.

 

Dass aber der weißhaarige Maestro noch ungemein jung und agil sein kann, beweist er, wenn er selbst am Pult steht. Zum krönenden und – muss man es eigens erwähnen? – abermals umjubelten Abschluss der nunmehr ersten chilenischen Bach-Akademie leitet Rilling nämlich persönlich die im glänzenden Barock erstrahlende, grauen Pietismus mit Wucht vertreibende h-Moll-Messe. Der Meister zeigt es seinen Schülern – und dann sieht es fast so aus, als käme es zu einer grandiosen Umkehrung. Nicht Rilling dirigiert die Partitur, die Partitur dirigiert Rilling: Jede Achtel, jede Sechzehntel, jede Fermate von Bach schlägt sich penibel in Mimik und Gestik nieder, Gesicht und Körper sind hellwach und tänzeln auf dem Podium umher, als gehörten sie einem achtjährigen Ballerino. Tatsächlich wird Rilling im nächsten Jahr aber achtzig.

„Wohin blicken Sie dann? Mehr nach vorne? Oder mehr zurück?“, fragen wir. „Immer nach vorne“, sagt Rilling, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Und selbst wenn er in der Stuttgarter Bachakademie dann nichts mehr zu sagen hat, wird er im nächsten Jahr zu Ostern wieder nach Chile zurückkehren: mit der Matthäuspassion von – wem sonst? – Bach.