Ohne Eltern und Geschwister ist der 17 Jahre alte Moaz Tabosh aus dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet. Bereits vier Monate nach seiner Ankunft schafft der hochintelligente und ehrgeizige Junge den Sprung aufs Gymnasium.

Herrenberg - Als wir Moaz im Januar in der Sindelfinger Schule des Jugendhilfeträgers Waldhaus das erste Mal treffen, ist der junge Syrer gerade zwei Monate in Deutschland. Und er fällt uns auf, weil er besser Deutsch spricht als alle anderen Jugendlichen, obwohl diese bereits viele Monate im Land sind. „Wenn Du hier was erreichen willst, dann musst Du am ersten Tag anfangen, Deutsch zu lernen und Dich zu integrieren“- das ist das Motto des 17-Jährigen. Und so schafft er bereits nach vier Monaten Aufenthalt in Deutschland den Sprung aufs Gymnasium. Seit März besucht er die zehnte Klasse des Herrenberger Schickhardt-Gymnasiums.

 

Dabei ist der 17-Jährige auf sich allein gestellt. Sein Vater lebt nicht mehr, die Mutter ist mit zwei Töchtern nach Jordanien geflüchtet. Sie hält sich dort mit Unterstützung der UN-Flüchtlingshilfe und illegalen Gelegenheitsjobs in einem Armenviertel der Hauptstadt Amman über Wasser. Die Hoffnung der ganzen Familie ruht nun auf den schmalen Schultern des noch kindlich wirkenden Moaz, der ganz allein über die Balkanroute bis nach Deutschland geflüchtet ist.

Doch der Eindruck täuscht: „Moaz ist ein sehr zielstrebiger junger Mann, der genau weiß, was er will und beste Voraussetzungen hat, sein Ziel zu erreichen“, sagt Siegfried Dierberger. Der Herrenberger Rechtsanwalt hat die Vormundschaft für den Minderjährigen übernommen. Die Ziele von Moaz, der in Syrien und einer Flüchtlingsschule in Jordanien zehn Jahre lang Unterricht hatte, sind klar: Abitur möchte er machen und dann studieren. Lehrer oder Ingenieur für Energie kann er sich als Berufe vorstellen. Sein Asylantrag läuft, und die Chance auf Anerkennung ist groß. Moaz hofft, dann irgendwann auch seine Mutter und die beiden Schwestern nachholen zu können.

Zusätzlich besucht Moaz einen Deutschkurs

Moaz hatte das Glück, dass sein damaliger Lehrer Mohamed Esmat in der Waldhausschule gleich das besondere Talent des Jungen erkannte. „Er hat mir immer nachmittags Sonderunterricht gegeben“, erzählt der 17-Jährige. Dieser Unterricht habe allen offen gestanden, betont Esmat. „Doch nur Moaz hat dieses Angebot auch regelmäßig angenommen. Er war sehr offen für alles.“ Und Esmat erzählt, wie er den Jungs in seiner Klasse einmal – eher im Scherz – nahe gelegt habe, sie müssten nicht nur Deutsch, sondern auch Schwäbisch lernen. „Am nächsten Tag brachte Moaz ein Buch „Schwäbisch für Anfänger“ mit, das er sich aus der Bibliothek ausgeliehen hatte.“ Die detaillierten Anfragen des Jungen zu Aussprache und Bedeutung der schwäbischen Ausdrücke hätten ihn dann doch „leicht überfordert“, gesteht der Deutsch-Ägypter Esmat.

Trotz allem Ehrgeiz und Fleiß, den Moaz zeigt: Die Anforderungen auf dem Gymnasium sind hoch. „In Englisch, das ich unterrichte, ist er auf dem Niveau seiner Klassenkameraden. Und er hat vom ersten Tag an mitgemacht“, berichtet seine Klassenlehrerin Anne Meyer. „Doch alle Fächer, bei denen man die deutsche Sprache braucht, fallen ihm noch schwer.“ Dies führe häufig zu Frustrationen bei Moaz. Deshalb hat Meyer jetzt zusätzlichen Deutschunterricht organisiert. Von kommender Woche an besucht der junge Syrer an drei Abenden einen Kurs an der Volkshochschule. Die zehnte Klasse wird er jedoch ab September wiederholen. „Moaz ist sehr intelligent und aufgeweckt. Und er arbeitet hart. Ich habe keinen Zweifel, dass er das Gymnasium schafft, wenn er besser Deutsch kann“, sagt seine Lehrerin.

Ein – bis zweimal in der Woche trifft sich Siegfried Dierberger mit seinem Schützling und bespricht mit ihm alle wichtigen Fragen. Er begleitet Moaz bei Arztbesuchen und entschuldigt ihn bei Krankheit in der Schule. Ansonsten managt der 17-Jährige, der in einer betreuten Jugendwohngruppe des Waldhauses wohnt, sein Leben relativ selbstständig. „Ich habe zusammen mit einem anderen Jungen ein Ein-Zimmer-Apartment direkt gegenüber der Schule“, sagt Moaz. Seine Betreuer vom Waldhaus teilen ihm sein Geld zu, mit dem er einkauft. Sogar ein wenig kochen habe er mittlerweile gelernt, erzählt er.

Auch Fahrradfahren gelernt

In der Schule schätzt er vor allem die „strikten Lehrer“. Zu Gleichaltrigen hat er erste Kontakte geknüpft. „Manchmal gehe ich mit einem deutschen Jungen joggen.“ Auch das Radfahren hat er gelernt – Siegfried Dierberger hat ihm ein Fahrrad und einen Helm besorgt.

Was vermisst Moaz in Deutschland? „Meine Familie und meine Freunde in Syrien.“ Ein wenig arabische Kultur schnuppert er bei Besuchen in der neuen Herrenberger Moschee. „Das ist zwar eine türkische Moschee. Doch sie lesen die Koransuren in Hocharabisch. Und ich liebe das Hocharabische.“ Sowieso gibt ihm sein Glaube Halt. Die strengen Fastenregeln im Ramadan, die ihm vom Sonnenaufgang bis -untergang Essen und Trinken verbieten, hält er auch an Schultagen strikt ein.

Die Sehnsucht nach seiner Familie ist jetzt im Ramadan besonders groß, hat doch der Fastenmonat für Muslime eine ähnlichwichtige Bedeutung wie für Deutsche die Weihnachtszeit. Doch trotz allem Heimweh ist für Moaz klar: „Ich will in Deutschland bleiben. Nur hier habe ich eine Perspektive.“