Eine Messerattacke unter Asylbewerbern in einer Herrenberger Unterkunft ist vor dem Böblinger Schöffengericht gelandet. Der 43-jährige Angeklagte wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Herrenberg - Nichtigkeiten haben die Situation am Abend des 10. März dieses Jahres in einem Asylbewerberheim in Herrenberg eskalieren lassen: Ein 43-Jähriger verfolgt erst mit einem Holzstock, dann mit einer Eisenstange einen 22-Jährigen. Am Ende greift er den Jüngeren mit einem Messer an und verletzt ihn im Genitalbereich. Deshalb stand der 43-Jährige am Donnerstag vor dem Böblinger Schöffengericht und wurde wegen gefährlicher und versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt, die der Vorsitzende Richter auf drei Jahre zur Bewährung aussetzte.

 

Reichlich Alkohol ist an jenem Märzabend geflossen. „Wir haben viel Spaß gehabt“, sagte das als Zeuge geladene Opfer vor Gericht. Der 22-Jährige hatte Freunde in dem Herrenberger Heim besucht. Sie hätten Bier und Whiskey getrunken, Bollywood-Filme, aber keine Pornos angeschaut, so der 22-Jährige weiter.

Unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben

Mit dem Treiben seiner Mitbewohner war der 43-Jährige offenbar nicht einverstanden. Er sei der Älteste gewesen und habe bestimmte Vorstellungen von Ordnung, ließ der Angeklagte seinen Verteidiger vor Gericht erklären. An jenem Märzabend sei er wiederholt in die Gemeinschaftsküche gegangen, um sich etwas zu essen zu kochen. Doch die Küche sei belegt gewesen, weshalb er in seinem Zimmer eine Flasche Rotwein getrunken habe, präzisierte der Angeklagte noch.

Es war ein Missverständnis, das die Stimmung zwischen den Männern kippen ließ. Der 22-Jährige habe, wie er und andere Zeugen vor Gericht sagten, einem Freund empfohlen, den Whiskey nicht pur, sondern mit Wasser verdünnt zu trinken. Der 43-Jährige glaubte, der Hinweis gelte ihm. Daraufhin gerieten er und der 22-Jährige in Streit. Auf der Straße vor der Unterkunft trafen die beiden Männer aufeinander.

Mal verfolgte der 43-Jährige den Jüngeren mit einem Holzstil, mal mit einer Eisenstange, die ihm ein Landsmann abnehmen konnte. Schließlich bewaffnete sich der 43-Jährige mit einem Küchenmesser. Als der 22-Jährige auf dem Weg zum Bahnhof an der Bushaltestelle vorbeikam, hinter der sich der 43-Jährige versteckt hatte, kam dieser hervor, stach mit dem Messer auf den Jüngeren ein und verletzte ihn an einem Hoden. „Das war so schmerzhaft“, sagte der 22-Jährige. Lauthals rief er seine Freunde zu Hilfe.

Zwei gingen zur Polizei. „In gebrochenem Englisch“ und dank „Zeichensprache“, berichtete ein Beamter von Gericht, machten die beiden Männer den Polizisten klar, dass etwas passiert sei. Eine Streife kümmerte sich um den Verletzten, der in der Uniklinik Tübingen operiert werden musste, eine andere nahm den 43-Jährige in seinem Zimmer vorläufig fest.

Strafe für Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt

Trotz seines „eingeschränkten Erinnerungsvermögens“ gestand der Angeklagte, der seit März in Untersuchungshaft saß, die Messerattacke und entschuldigte sich dafür. In seiner Heimat Sri Lanka gehört er zur Minderheit der Tamilen. Während des Bürgerkriegs dort sei er 2009 wegen Terrorverdachts festgenommen und gefoltert worden, sagte er. Danach floh er nach Europa, seine Frau und Tochter leben in einer Flüchtlingsunterkunft in Indien. In Frankreich – dort stellte er vergeblich einen Asylantrag, tauchte unter und kam nach Deutschland – wurde bei ihm Diabetes diagnostiziert. Die Zuckererkrankung mache ihm ebenso zu schaffen wie Granatsplitter in seinem Kopf, die nicht entfernt worden seien, so der 43-Jährige.

Von der Messerattacke abgesehen, ist der 43-Jährige nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. In jener Märznacht aber habe er sein Opfer unbedingt verletzen wollen, stellte der Oberstaatsanwalt fest. Er forderte für den Angeklagten eine Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. Der Verteidiger forderte eine Bewährungsstrafe. Die verhängte der Richter, stellte den 43-Jährige zudem unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers und verdonnerte ihn zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit.