Vor 25 Jahren wurde der Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, ermordet. Die RAF bekannte sich dazu, aufgeklärt wurde die Tat nie. Wo die Täter fehlen, blühen die Spekulationen. Manche bezichtigen sogar die Stasi.

Frankfurt - Am Morgen des 30. November 1989 verließ Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank, seine Villa in Bad Homburg und fuhr in Richtung Frankfurt. Kurz darauf zerriss eine gewaltige Detonation den gepanzerten Mercedes, Herrhausen verblutete noch in den Trümmern. Am Tatort fand sich ein Blatt mit dem Symbol der Rote-Armee-Fraktion und der Aufschrift „Kommando Wolfgang Beer“. Mehr weiß man offenbar bis heute nicht. Fragt man bei der Bundesanwaltschaft oder beim Bundeskriminalamt nach, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Allenfalls heißt es, man äußere sich nicht zu „laufenden Ermittlungen“. Aber geschieht da etwas, oder wird nur die Akte eines ungeklärten Falles offengehalten?

 

Immerhin hat Bundesanwalt Rainer Griesbaum, einer der maßgeblichen Ermittler, vor einem Jahr eingestanden: „Wir wollen die Täter überführen, am besten durch Geständnisse. Aber die RAF ist immer noch ein Kollektiv des Schweigens. Auch die Morde an Ernst Zimmermann und Karl Heinz Beckurts sind nicht aufgeklärt. Alle kriminalistischen Untersuchungen sind abgearbeitet. Es gibt keine Spuren mehr.“ Da kann es nicht ausbleiben, dass Spekulationen blühen.

Der technisch perfekt ausgeführte Mord sei ein Werk der Stasi, heißt es. Doch welches Interesse sollte sie noch an diesem Anschlag haben? Herrhausen starb drei Wochen nach dem Fall der Mauer. Andererseits wird gefragt, weshalb die RAF gerade ihn zum Opfer wählte, denn Herrhausen war ein Mann, der sich nicht in das herkömmliche Bild des Bankers fügte. In deren Kreisen stieß er auf Vorbehalte, er galt nicht als typischer Vertreter des „militärisch-industriellen Komplexes“. Er war ein bemerkenswert freier Kopf, der sich auch für linke Ideen interessierte.

Herrhausen, Mitglied der SPD, kam über die Energiewirtschaft zur Deutschen Bank. Rasch wurde der Hochbegabte einer der Vorstandssprecher und übernahm 1988 die alleinige Führung des Hauses. „Es ist keine Frage, dass wir Macht haben“, sagte Herrhausen, „entscheidend ist aber, dass man damit verantwortungsvoll umgeht.“ Als 1987 bei der Tagung des lnternationalen Währungsfonds der mexikanische Präsident Herrhausen die katastrophale Finanzlage seines Landes schilderte, wuchs in dem Banker die Überzeugung, dass die armen Länder nie ihre Schulden zurückzahlen könnten. Wenn sie es versuchten, würde das ihre Lage noch verschlimmern. Das einzig Richtige sei es deshalb, diesen Ländern ihre Schulden zu erlassen und sie zu wirtschaftlichen Reformen anzuhalten.

Die Bankenszene war fassungslos. Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper fertigte den Vorschlag ab als „intellektuelle Bemerkung“. Doch nicht alle reagierten ablehnend. Ludwig Poullain, der ehemalige Chef der WestLB, nannte Herrhausen „den Letzten unserer Zunft, der noch die nötige Courage aufbringt“. Paul Achleitner, der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, sagte später: „Herrhausen war ein Manager, der weit über den Tellerrand geblickt hat. Er hat dem Zeitgeist getrotzt und sich nicht gescheut, auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Wer weiß, ob wir in eine Finanzkrise geraten wären, wenn sich mehr Banker dem Zeitgeist entgegengestemmt hätten.“ Tatsächlich hatte Herrhausen ein Gespür für den Wandel: „Weil die Zeiten demokratischer geworden sind, weil die Leute jede Form von Autorität in Frage stellen, weil sie die Macht, die wir als Banker haben, kritisieren, müssen wir ihnen offenlegen, welche Interessen wir verfolgen.“ Herrhausen blickte auch auf die aufbegehrenden jungen Leute und fragte sich: Was sind die wichtigsten Investitionen in die Zukunft?

In seinen Kreisen war er wohl einsam

Der Zufall wollte es, dass er bei einer Fernsehdiskussion die Bekanntschaft mit einer Studentin machte, die sich dort mit linken Einwänden bemerkbar gemacht hatte. Als sie ihn nach der Veranstaltung zur Rede stellte, fordert er sie auf: „Schreiben Sie mir das alles auf.“ Daraus entstand eine bemerkenswerte Beziehung. Die junge Frau namens Tanja schrieb ihm Hunderte Briefe, und er antwortete ihr telefonisch. Tanja, die diese Briefe veröffentlicht hat, sagt heute: „Ich war eine geistige Tankstelle für ihn. Er wollte mit jemandem sprechen, der andere Werte verkörperte, der nicht nur an Geld und Karriere dachte.“

Herrhausen konnte hier in eine Welt eintauchen, die ihm sonst verschlossen blieb. Man muss annehmen, dass er einsam war, denn in der Deutschen Bank hatte er kaum Freunde. Das Bankenprinzip der Verschwiegenheit durch Transparenz zu ersetzen sowie das Haus internationaler auszurichten stieß auf den Widerstand seiner Vorstandskollegen. Dass der Querdenker von einflussreichen Wirtschaftskreisen aus dem Weg geräumt wurde, ist deshalb immer wieder zu lesen. Aber Birgit Hogefeld, die Ex-Terroristin, die sich seit 2011 auf freiem Fuße befindet und die wohl Genaueres weiß, bezeichnet solche Spekulationen als „baren Unsinn“. Und das sind sie wohl auch. Nach seinem Tod dachte man in Frankfurt um. Die Deutsche Bank gründete die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft, die soziale Ziele verfolgt. Direktor Thomas Matussek sieht in Herrhausen nicht nur den Banker: „Er war auch Philosoph, politischer Denker und Gestalter. Die von ihm angestoßenen Diskussionen zur moralischen Verantwortung von Banken und Unternehmen sind heute aktueller denn je.“