Der syrische Präsident stoppt UN-Hilfslieferungen für vier Millionen Menschen. Er will so Kontrolle über ein Rebellengebiet im Nordwesten erlangen.

Seit zwei Wochen rollen keine Lastwagen mit UN-Hilfslieferungen mehr über den Grenzübergang Bab al-Hawa von der Türkei in den Nordwesten Syriens. „Das Tor ist geschlossen“, sagt UN-Sprecher Stephane Dujarric. Damit ist ein Weg versperrt, über den die UN bis vor Kurzem 85 Prozent ihrer Hilfe für vier Millionen Menschen im syrischen Rebellengebiet transportierten. Der syrische Präsident Baschar al-Assad will der Weltorganisation seine Bedingungen für die Fortsetzung der Hilfe über Bab al-Hawa aufzwingen.

 

Assads Partner Russland stoppte die Hilfslieferungen über Bab al-Hawa vor zwei Wochen per Veto im UN-Sicherheitsrat. Die UN können bis Mitte August zwar noch zwei andere Übergänge aus der Türkei nach Syrien nutzen, die nach dem schweren Erdbeben vom Februar mit Assads Zustimmung geöffnet worden waren. Doch diese Übergänge sind wesentlich kleiner als Bab al-Hawa und können den Ausfall nicht wettmachen, wie Dujarric in New York sagte.

UN lehnen die Bedingungen ab

Nun bietet Assad an, die UN können weiter Hilfe über Bab al-Hawa schicken, wenn sie alle Kontakte mit „Terroristen“ einstelle; das würde bedeuten, dass die Organisation nicht mehr mit den Rebellengruppen zusammenarbeiten dürfte, die den Nordwesten beherrschen. Die UN lehnen die Bedingungen ab, weil Assad damit die Lieferungen stoppen und das Rebellengebiet aushungern könnte. Die Organisation will trotzdem mit Assad verhandeln – schon das ist ein politischer Sieg für den syrischen Präsidenten, denn nicht Assads Armee kontrolliert Bab al-Hawa, sondern die Rebellen.

Vor der Entscheidung im Sicherheitsrat hatten die UN vorsichtshalber ihre Lager im Nordwesten Syriens mit Hilfsmitteln aufgestockt. Diese Vorräte seien aber nur ein „Minimum“, sagt Fadi al-Dairi, Mitgründer der Hilfsorganisation Hihfad, die im Auftrag der UN arbeitet. Bab al-Hawa werde auf absehbare Zeit geschlossen bleiben, sagte Dairi unserer Zeitung. Derzeit werde überlegt, wie die Menschen bei geschlossenem Grenzübergang versorgt werden könnten. Lebensmittelscheine seien eine Möglichkeit. Auch können die UN private Hilfswerke mit den Lieferungen beauftragen. Für sie ist Bab al-Hawa offen.

Besonders Zivilisten leiden

Für Assad ist die Rückeroberung des syrischen Nordwestens das wichtigste Kriegsziel, nachdem er mit russischer Hilfe in den vergangenen Jahren die Rebellen aus vielen Landstrichen vertreiben konnte und heute wieder etwa zwei Drittel des Staatsgebietes kontrolliert. Unter den Vorstößen der syrischen Armee und der russischen Luftwaffe leiden besonders Zivilisten.

Im Streit um Bab al-Hawa profitiert Assad von drei Entwicklungen. Erstens lässt die Krise zwischen Russland und dem Westen wegen des Ukraine-Krieges den Spielraum für Kompromisse im UN-Sicherheitsrat sinken. In den vergangenen Jahren hatte sich Moskau stets mit westlichen Staaten auf die weitere Nutzung von Bab al-Hawa verständigt, doch diesmal scheiterten die Vermittlungsversuche.

Assad ist in der Region nicht mehr isoliert

Zweitens ist Assad in der Region nicht mehr isoliert. Seine ehemaligen Feinde in der arabischen Welt sind zu dem Schluss gekommen, dass sie sich mit ihm arrangieren müssen: Syrien ist wieder vollwertiges Mitglied in der Arabischen Liga. Selbst der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der jahrelang Assads Sturz anstrebte, will sich mit dem syrischen Staatschef treffen. Erdogan fürchtet eine neue Fluchtwelle aus Syrien. Auch der Einfluss von Wladimir Putin spielt dabei eine Rolle, wie Kerim Has, Experte für die russisch-türkischen Beziehungen, beobachtet: „Moskau macht Druck auf Erdogan, seine Beziehungen zu Assad möglichst schnell zu normalisieren“, sagte Has unserer Zeitung.

Drittens steht Assad nicht unter Zeitdruck – anders als die Menschen im syrischen Nordwesten. UN-Vertreter in der Region berichten von Temperaturen von über 40 Grad, vielen Bränden und Wassermangel.