Das Hilliard-Ensemble löst sich Ende des Jahres auf. Vorher geht es auf seine letzte Tournee. Seit der Gründung 1974 ist der Countertenor David James dabei. Er ist der letzte der Originalbesetzung. Ein Interview.

Stuttgart - In der heutigen Besetzung des Hilliard-Ensembles ist der Countertenor David James das letzte verbliebene Gründungsmitglied. Rogers Covey-Crump (Tenor), Steven Harrold (Tenor) und Gordon Jones (Bariton) kamen später dazu.

 

Jetzt gehen sie auf Abschiedstournee, die meisten Termine bestreiten sie mit dem Saxofonisten Jan Garbarek.

Mr. James, der Titel Ihrer letzten CD lautet „Il cor tristo“. Wird Ihr Herz auch traurig, wenn Sie an Ihren bevorstehenden Abschied von der Bühne denken?
O ja! Das Hilliard-Ensemble war mein Leben, und der Abschied ist wirklich sehr traurig. Aber alle guten Dinge enden einmal, und wir haben uns entschlossen aufzuhören, solange wir noch die Wahl haben. Aber der Tag des letzten Konzerts wird ein sehr trauriger sein, denn ich liebe das Auftreten immer noch sehr.
Warum hören Sie gerade jetzt auf? Gibt es einen Zusammenhang mit dem vierzigjährigen Bestehen, das Sie dieses Jahr feiern?
Ja, auf eine bestimmte Weise schon. Vor zwei, drei Jahren haben wir im Ensemble angefangen, darüber nachzudenken, wie lange wir das noch machen wollen. Wir hatten drei Optionen: unser jüngstes Mitglied, Steven Harrold, hätte mit drei neuen Sängern unter dem Namen Hilliard-Ensemble weitermachen können. Aber das wollte er nicht, denn es wäre für ihn ein neues Ensemble gewesen, eben nicht mehr die Hilliards. Die zweite Option wäre gewesen, einfach weniger Auftritte zu machen, leichtere Programme. Aber irgendwann hätten wir dann wieder vor demselben Problem gestanden. Und im heutigen Konzertbetrieb plant man mindestens ein Jahr im Voraus, wir hätten also nicht sagen können: Also Leute, im nächsten Monat hören wir auf! Und so haben wir uns für die dritte Möglichkeit entschieden: wir machen einen Schnitt. Und das Vierzig-Jahr-Jubiläum ist ein guter Zeitpunkt dafür.
Sie sind Countertenor und in der aktuellen Besetzung das einzige verbliebene Gründungsmitglied des Hilliard-Ensembles – ist das nicht ein wenig erstaunlich? Man könnte doch annehmen, dass gerade das Singen in solch hohen Lagen für die Stimmbänder anstrengender ist als bei einem Bariton?
Nun, wenn man eine gute Technik besitzt, macht es eigentlich keinen Unterschied. Ich singe auf die gleiche Art wie ein Tenor oder Bariton. Aber das Singen im Hilliard-Ensemble ist grundsätzlich nicht so anstrengend und verschleißt die Stimme längst nicht so schnell wie das etwa bei einem Opernsänger der Fall ist, der ein Orchester übertönen muss. Wir müssen niemals forcieren oder die Stimme überanstrengen.
Ihre kommerziell größten Erfolge hatten Sie mit dem Saxofonisten Jan Garbarek, mit dem Sie auch viele Auftritte innerhalb Ihrer Abschiedstournee machen. Alte Vokalmusik und ein Jazzsaxofon – wie passt das denn zusammen? Warum lieben die Leute es so?
Ich weiß nicht, ob sie es lieben . . . (lacht). Auf jeden Fall lieben wir es, mit Jan zu spielen! Ich glaube, wenn sich die Musiker wohlfühlen, dann überträgt sich das auch auf das Publikum. Klar, die Kombination ist in der Tat etwas ungewöhnlich – auf die Idee kam damals Manfred Eicher von der Plattenfirma ECM. Wir hatten damals keine Ahnung, was auf uns zukommt. Wir sangen alte Musik, Jan Garbarek kam mit seinem Instrument dazu, und wir wussten nach zehn Sekunden: Donnerwetter, das ist ja unglaublich! Und so wurde Jan praktisch unsere fünfte Stimme. Das ist jetzt zwanzig Jahre her, also genau die Hälfte unserer Karriere. Und Jan kann uns immer noch überraschen. Er hat immer wieder neue Ideen, selbst wenn es dieselben Stücke sind, die wir spielen.
Wie sieht denn Ihre Arbeit mit Garbarek aus? Proben Sie vor den Konzerten?
Das läuft alles ganz spontan. Die Leute glauben es meistens nicht, aber Jan hat niemals eine Note von den Stücken gesehen, die wir singen. Wenn wir ein neues Stück haben, singen wir es ihm vor. Dann überlegt er, ob es ihm „Raum zum Spielen lässt“, wie er es ausdrückt. Es kann durchaus sein, dass wir ihm ein Stück nachmittags zum ersten Mal vorsingen, und er improvisiert dann am Abend im Konzert darüber. Es gibt ansonsten keinerlei Arrangements, keine festen Absprachen. Wir reagieren einfach aufeinander und auf den Raum.
Was den Raum anbelangt, so treten Sie ja meistens in Kirchen auf. Welche Rolle spielt die Raumakustik für Sie?
Eine sehr große. Mit dem Hilliard-Ensemble singen wir auch in Konzertsälen, wobei wir dann unser Repertoire danach auswählen. Am liebsten sind wir aber in schönen Kirchen mit einem natürlichen Nachhall – Kirchenakustik unterstützt die Stimmen. In Kombination mit Jan Garbarek treten wir seit ein paar Jahren nur noch in Kirchen auf, denn bei einer künstlichen Saalakustik stimmt die Balance oft nicht. Außerdem müssen wir dann still stehen. Bei den Konzerten mit Jan aber gehen wir gern im Raum umher.
Haben Sie schon Pläne geschmiedet für die Zeit nach Ihrem letzten Konzert?
Ja, ganz praktische! Ich habe spät geheiratet und einen sieben Jahre alten Sohn, und ich möchte für ihn ein Fulltime-Vater werden. Ansonsten werde ich erst einmal sechs Monate lang gar nichts machen. Danach sehe ich weiter.