Heißer Scheiß: Die HipHop Open haben am Samstag den Kessel zum Glühen gebracht. Das Stadtkind schwitzte vor Ort mit - und liefert Eindrücke von vor und hinter der Bühne. Dort sind ausgelassene Partys allerdings Fehlanzeige - dafür steht da ein Plantschbecken für den Nachwuchs der Rapstars. 

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Es gibt kaum eine andere deutsche HipHop-Band, die länger dabei ist, als die Münchner Formation Blumentopf. Schon unzählige Male haben sie bei den HipHop-Open gespielt, aber noch nie so früh am Tag. Bereits um 14.20 Uhr betritt das Quintett die Bühne. Das ist für uns schon etwas eigenartig“, sagt Roger Manglus, MC der Band. „Es hat aber den unschlagbaren Vorteil, dass ich mir den Auftritt von Action Bronson vor uns anschauen kann. Und dass wir zeitig wieder fahren können, wir spielen nämlich am Sonntag in Cuxhaven schon beim nächsten Festival“, so Manglus.

 

Bei früheren Veranstaltungen haben die Münchner kurz vor dem Headliner gespielt. In Künstlerkreisen kommt Eitelkeit manchmal vor Talent. Wer bereits tagsüber ran muss, gilt nicht so viel wie die wichtigstens Acts der Veranstaltung, die erst gegen Abend ran müssen - im Fall der HipHop Open 2013 sind das Marteria, Wu-Tang Clan und Absolute Beginner. Der frühe Auftritt ficht Manglus aber nicht an „Es gibt in Deutschland im Bereich HipHop keine andere Band, die so konstant ist wie wir. Wir sind bestimmt nicht die Besten, aber egal was passiert, egal wer links oder rechts an uns vorbeizieht und dann wieder von der Bildfläche verschwindet, am Ende sind wir immer noch da.“

Und tatsächlich, die Band kann seit dem Jahr 2000 gut von der Musik leben. Sie gehören zu den wenigen Künstlern im Bereich HipHop, mit denen man unfallfrei auch über Themen außerhalb ihres Genres sprechen kann. Je reiner die Interpretation von HipHop, desto kritischer werden die Künstler beäugt, die auch mal über den Tellerrand schauen, wie eben Blumentopf. Von den Gralshütern der Szene werden sie deshalb als Studenten-Rapper bezeichnet. Das ist in diesem Genre eine Beleidigung, die bei weitem schlimmer als der handelsübliche Motherfucker ist.

Die Hitze kann die Begeisterung der Fans nicht stoppen

Blumentopf ist das angenehm Wurst. Die fünf Mitglieder sind mittlerweile alle um die 40 und ziehen eine mehr als routinierte Show ab. Viel Material vom aktuellen Album „Nieder mit der GbR“, aber auch einige Klassiker. Im Hintergrund wie immer DJ Sepalot, einer der innovativsten DJs im deutschen Hip-Hop, der auch immer wieder solo reüssiert, zuletzt zum Beispiel mit den Alben „Beat Conducta Bavaria“, auf dem er bayerische Folklore mit Hip-Hop versöhnte. Sein Solo-Werk „Chasing Clouds“ galt manchem Feuilletonisten gar als das beste deutsche HipHop-Album 2011. Sepalot dirigiert seine vier MCs Cajus Heinzmann, Bernhard Wunderlich, Florian Schuster und eben Roger Manglus aus dem Hintergrund, die Band verzichtet auf ein Bühnenbild, bei vier Rappen ist aber auch schon genügend Alarm auf der Bühne.

„Mein Betriebssystem ist fucked up, und heute Nacht mach ich es platt“, rappen sie im Stück Systemfuck von 2011. Zu dem Zeitpunkt - um kurz nach 15 Uhr - ist bei manchem Besucher schon das System abgestürzt. Es ist einfach zu heiß. „Unfassbar, wie Ihr feiert, wir sind so froh, zumindest ein bisschen Schatten auf der Bühne zu haben“, bedankt sich Roger bei den Fans. Zum Schluss gibt es noch eine beliebte Live-Choreographie zu bestaunen. Alle Zuschauer müssen gleichzeitig in die Knie und auf Kommando in die Höhe springen. Das sieht vor allem im Profil nett - und vor allem schweißtreibend aus. Fast sehen Blumentopf ein bisschen froh aus, als sie sich nach ihrem Auftritt bei gefühlten 40 Grad in ihren kühlen Tourbus verabschieden können.

Zwischenbilanz von den HipHop Open 2013: Es ist heiß, heiß, heiß, ohne Lichtschutzfaktor 30 kommt man am Samstag nicht weit und ohne ein gescheites Handtuch auch nicht. Hip-Hop-Open-Grundaustattung eben. Nach Blumentopf hat der Österreicher Left Boy ein unfassbares Feuerwerk der Marke Lichterfest gezündet, Tyga hat gezeigt, wie vielfältig Hip-Hop im Jahr 2013 sein kann und just in dieser Sekunde beweist Marteria, dass Pop im Hip-Hop nicht gleich Weichspieler sein muss. Seine „Lila Wolken“ mit Sängerin Miss Plantnum stellen den Soundtrack der Generation U20 dar, die feiert, bis die lila Wolken am Himmel zu sehen sind.

Rap scheint immer älter zu werden

Mit seinen Hits wie „Endboss“ oder „Grüner Samt“ gehört er zum kommerziell erfolgreichsten, was der deutsche Hip-Hop in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Während die jüngeren Festival-Besucher eine Band wie Blumentopf nur noch vom Hörensagen kennen, sind Künstler wie Marteria oder der Stuttgarter Cro beim Hip-Hop-Nachwuchs angesagt wie eine Sonnenbrille gegen die brennende Sonne der diesjährigen Hip-Hop-Open.

Marteria ist aber auch für Hip-Hop-Opas interessant, da er über eine Biographie mit reichlich Brüchen verfügt. Aufgewachsen in der DDR, wie er in seinem Hit Endboss rappt, reüssierte er als erfolgreicher Kicker bei Hansa Rostock, ging dann aber nach New York, um dort als Model zu arbeiten, und landete schließlich in Berlin, von wo aus er eine mittlerweile wirklich vorzeigbare Karriere aufs Parkett legt. „Was ist denn mit der Realness, alle machen nur noch Wellness“, rappt Marteria, während das Stadtkind im Produktionsbüro in seinem eigenen Schweiß eine Auto-Wellness-Kur veranstaltet.

Am Abend wird die amerikanische Hip-Hop-Legende Wu-Tang-Clan auf der Bühne erwartet. Derweil gibt es im VIP-Bereich und backstage eigentlich nur ein Thema: Rap ist ganz schön alt geworden. Viele der Künstler sind mittlerweile um die oder über 40. Im Künstler-Backstage gibt es ein Plantschbecken für den Nachwuchs der Rapstars. Während man früher aus der Popkultur irgendwann herausgewachsen war, um sich irgendwo eine feine Doppelhaushälfte zu kaufen und endlich erwachsen zu werden, gibt es heute eine interessante Größe an Künstlern und Organisatoren, die scheinbar nicht altert oder sich zumindest ihren Sneakers- und Baseballcap-Habitus bis ans Ende der Tage bewahren will, und lässig nebenher eine Familie gründet und sich ein Häusle herauslässt. Weitere weltbewegende Beobachtung: Auch Jan Eißfeldt alias Jan Delay alias Frontmann der Beginner alias derzeit größer und massenkompatibelster deutscher Popstar trägt jetzt auch einen zotteligen Hipster-Bart. Wir trafen ihn soeben auf Klöchen.