In Herrenberg hat sich die Stadtarchivarin mit der Reformation befasst, in Holzgerlingen widmen sich Mitglieder des Heimatgeschichtsvereins und der Kirchen der Religionsgeschichte – und zeigen zwei völlig unterschiedliche Ausstellungen.

Holzgerlingen/Herrenberg - Die einen zelebrieren die Ausstellungseröffnung zum 500. Jahrestag der Lutherschen Thesen mit festlichen Klängen, die anderen gehen die Sache eher nüchtern und kritisch an. Heinz Lüdemann und Dieter Schittenhelm vom Verein für Heimatgeschichte in Holzgerlingen halten es für ziemlich unangebracht, das Reformationsjubiläum überschwänglich zu feiern. „Hinter uns liegt eine leidvolle Zeit“, sagen die beiden. Deshalb wollen sie vielmehr der historischen Ereignisse gedenken und stellen die Errungenschaften der Reformation heraus. Die Herrenberger Stadtarchivarin Michaela Couzinet-Weber dagegen hat einen anderen Ansatz. In chronologischer Abfolge blickt sie in Jahrhundertschritten auf die Jubiläumsfeierlichkeiten und ordnet sie in den gesellschaftlichen Kontext der damaligen Zeit ein.

 

Touchscreens in Holzgerlingen

„I han vor nix Angscht, weil i nix han“, tönt es dem Besucher im Heimatmuseum in Holzgerlingen entgegen. Das Lutherzitat schallt als Endlosschleife auch auf hessisch, bayrisch, plattdeutsch, in lateinischer Sprache und auf hochdeutsch durch das Haus. Die Kuratoren der Schau „500 Jahre Spuren der Reformation – was eint, was trennt“ haben die Ausstellung – so weit das möglich ist, so lebendig wie möglich gestaltet. Und sie holten mit Hilfe von Tabea Dölker – sie ist Mitglied der Landesynode der evangelischen Kirche Württemberg – drei Holzgerlinger Geistliche ins Boot, die den ökumenischen Schulterschluss üben.

Als erstes stößt der Besucher auf einen Altar mit der Bibel, aufgeschlagen ist der Römerbrief 1. Der katholischen Dekan Anton Feil, Pastor Robert Hoffmann von der evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde und der evangelische Pfarrer Traugott Meßner haben ihn gestaltet und auch sonst an der Ausstellung mitgewirkt. „Damit wir auch immer den richtigen Ton trafen“, sagt Dieter Schittenhelm, angesichts der disputreichen Geschichte nicht immer so einfach. Denn noch heute sind die Prioritäten und das gelebte Christentum verschieden. Die Holzgerlinger lassen eine Pfarrerinnenfigur, die für die Gleichberechtigung der Frau steht, auf Andreas Voßkuhle blicken, den heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Die Thesen Martin Luthers von der Freiheit des Christenmenschen fanden auch ihren Niederschlag im Grundgesetz. Eine Priesterfigur in farbigem Ornat dagegen demonstriert die Heiligenverehrung. Er ist einer Marienstatue zugewandt – und auch einem Beichtstuhl.

Fibel und Tintenfass

„Bildung, Bildung und nochmals die Bildung“ ist für Heinz Lüdemann das Kernstück der Reformationshistorie, die anschaulich aufgezeigt wird. An einer Originalbank der örtlichen Volksschule, auf der eine Fibel aus dem Jahr 1882 liegt und ein Tintenfass steht, sitzt ein Mädchen mit Zöpfen und einem Federkiel. Daneben wird Lucas Osiander gewürdigt, der „Abt von Bebenhausen“ und die Elitenbildung der evangelischen Kirche mit Keppler, Schickard, Hegel. Die Reformationsgeschichte wird in personalisierter Form lebendig, und auch Kirchenglocken erklingen an einem Touchscreen, an einem anderen Kirchenlieder von Luther, Gerhardt und Spee.

Die Christengemeinde sollte musizieren im Gottesdienst, singen und sämtliche Inhalte verstehen – das war der Wille Luthers. Die Besucher können im übrigen selbst in die Tasten greifen – an einem Harmonium. Die Ausstellung im Holzgerlinger Heimatmuseum ist bis zum 4. Februar zu sehen, geöffnet ist jeweils am ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr (für Gruppen auch werktags, Anmeldung unter der Telefonnummer 0 70 31/6 80 80).

Folianten in Herrenberg

In feinem Zwirn und unter den Flötenklängen des Erwachsenenensembles der Musikschule feierten die Herrenberger im Stadtarchiv die Ausstellungseröffnung. Über die beiden ersten Jahrhundertfeiern zum Reformationsjubiläum seien nur wenige Dokumente zu finden gewesen, erklärte die Stadtarchivarin Michaela Couzinet-Weber. Die von ihr kuratierte Schau besticht durch eine stringente Aufzeichnung der politischen und gesellschaftlichen Situation zum jeweiligen Zeitpunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten, sowohl in Württemberg als auch in Herrenberg.

Es gab vor Ort schon früh Anhänger der Reformation. Einer von ihnen war Johannes Neuffer, dessen Bildnis noch heute in der Stiftskirche hängt. Nach 1534 kamen auch die ersten reformatorischen Prediger in die Gäustadt, darunter Kaspar Gräter. Eine kostbare Leihgabe der Württembergischen Landesbibliothek ist dessen Katechismus, im Jahr 1540 erschienen.

Die ideale Christenstadt

Dass das erste 100. Reformationsjubiläum nicht nur in Stuttgart und Tübingen gefeiert wurde, bezeugt die im heutigen Herrenberger Teilort Kayh erhaltene Chronik von Pfarrer Johann Friedrich Hartmann. Auch Couzinet-Weber macht die Reformationsgeschichte an Personen fest. Johann Valentin Andreae gehört dazu, der Namensgeber des gleichnamigen, heutigen Gymnasiums, der 1619 eine utopische Schrift über die ideale Christenstadt verfasste: „Christianopolis“.

1817 und 1917 feierten die Herrenberger selbst bei Lebensmittelknappheit. Sogar ein Familienabend fand während des ersten Weltkriegs statt: im Gasthof zur Post. Eine Anzeige aus dem Gäu- und Ammertalboten kündet davon. Wie üblich wurde ohnehin wenig gegessen und getrunken, dafür gesungen und gebetet. Auf die Besucher warten 42 Dokumente, Schriften und Bilder, 22 davon in Vitrinen. Bis zum 30. Juni werden sie gezeigt. Geöffnet ist Montag bis Freitag von 8.30 bis 12 Uhr, Mittwoch und Donnerstag von 14 bis 17 Uhr. Führungen gibt es unter Telefon 0 70 32/2 70 30.

Luther im Programm

Bauernkriegsmuseum:
„Luthers Spuren gevolkt“ heißt die Sonderausstellung über die Reformation, die bis 16. Juni im Böblinger Bauernkriegsmuseum läuft. Sie setzt sich mit Martin Luthers Leben und Wirken auseinander, auch Kritik an seinen Aussagen spielt eine Rolle.

Begleitung:
Die Museumsfreunde Böblingen laden für Sonntag, 7. Mai, um 11.15 Uhr zur Matinee in die Zehntscheuer ein: Günter Scholz referiert über das „Denkmal Luther“. Denn der Reformator sei schon zu Lebzeiten zur Legende geworden. Der Oberbürgermeister Wolfgang Lützner spricht ein Grußwort, weil der Verein der Museumsfreunde seinen 30. Geburtstag an dem Tag feiert. Musik gibt es vom Südwestdeutschen Posaunenquartett. Am Sonntag, 14. Mai, bietet die Museumsleiterin Corinna Steimel um 11.15 Uhr eine Führung durch die Schau an. Am Sonntag, 23. Mai, hält der Stadtarchivar Christoph Florian einen Vortrag über „Böblingen und die Reformation“.