Der bei den blutigen Ausschreitungen von Marseille am Samstag schwerverletzte Engländer befindet sich weiterhin in kritischem Zustand. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Marseille/Paris - Der bei den blutigen Ausschreitungen von Marseille schwerverletzte Engländer kämpft weiter um sein Leben - von den Tätern, die am Samstag mit hemmungsloser Gewalt zuschlugen, fehlt aber jede Spur. „Die Angreifer konnten nicht identifiziert werden“, musste Brice Robin, Staatsanwalt der südfranzösischen Stadt, am Montag eingestehen.

 

Die Erfolgsbilanz der Behörden ist bislang niederschmetternd. Am Montag wurde sechs Briten, drei Franzosen und einem Österreicher der Prozess gemacht. Die französische Staatsanwaltschaft beantragte Haftstrafen und ein Einreiseverbot. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagte ein 20 Jahre alter Brite, für den zwei Monate Haft gefordert wurden. Der Deutsche, der am Sonntag in Polizei-Gewahrsam war, fehlte auf der Liste des Staatsanwalts.

Zwei britische Fans sind zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Ein Gericht in der Mittelmeerstadt verurteilte die beiden 41 und 20 Jahre alten Männer am Montag zu drei beziehungsweise zwei Monaten Haft, wie die französische Nachrichtenagentur AFP meldete. Zudem dürfen sich die beiden für zwei Jahre nicht in Frankreich aufhalten. Der ältere Angeklagte hatte zugegeben, eine Bierflasche auf Polizisten geworfen zu haben. Der zweite Mann soll laut Anklage ebenfalls eine Glasflasche geworfen haben, er selbst räumte den Wurf eines Plastikbechers ein.

Russische Hooligans offenbar gut vorbereitet

Die Ausschreitungen hatten sich am Samstag rund um das EM-Spiel zwischen England und Russland ereignet. Dabei wurden 35 Menschen verletzt. Am Montag sollten insgesamt zehn Verdächtige im Schnellverfahren vor Gericht kommen - neben den beiden bereits Verurteilten vier weitere Briten, drei Franzosen und ein Österreicher.

Schuldig waren angesichts der Bilder aber wohl viel mehr. Mindestens 150 „perfekt vorbereitete“ russische Hooligans konnte sich nach den Krawallen einer Festnahme entziehen, sagte Robin. Die Russen waren der Überwachung offenbar entkommen, indem sie nicht mit dem Flugzeug in Marseille landeten. Inzwischen dürften sie weit weg sein - oder, was schlimmer wäre, auf dem Weg zum nächsten EM-Spiel der Russen gegen die Slowakei am Mittwoch in Lille (15.00 Uhr/ZDF). Auch in Großbritannien wurden schwere Anschuldigungen erhoben.

Einige Schläger mit Messern bewaffnet

Der bei der britischen Polizei für die EM verantwortliche Offizier Mark Roberts sagte der Tageszeitung Guardian, russische Hooligans hätten sich Zahnschutz und Kampfhandschuhe angezogen, bevor sie auf die englischen Fans losgegangen seien: „Wir wissen, dass einige Messer hatten, weil ein englischer Fan niedergestochen wurde.“

Der in Marseille zu Boden geprügelte Brite befinde sich derweil weiter in einem „kritischen“, aber inzwischen stabilen Zustand, sagte der Staatsanwalt. Insgesamt hatte es mindestens 35 Verletzte gegeben, darunter dem Vernehmen nach auch Unbeteiligte. Der in Lebensgefahr schwebende Engländer sei von einer Eisenstange „wahrscheinlich am Kopf“ getroffen worden, berichtete die Nachrichtenagentur AFP.

„Wenn es stimmt, dass bis zur Stunde kein einziger Hooligan verhaftet worden ist, dann kann ich das angesichts der Bilder und dramatischer Vorkommnisse nicht verstehen“, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, bis 2015 Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, bei Sport1. Der Abgeordnete sei „überrascht, dass es überhaupt zu solchen Ausschreitungen hat kommen können. Zumal die „Gewaltbereitschaft der russischen Hooligans bekannt war“, sagte der Innenpolitik-Experte.

Mehr Sicherheitskräfte und ein Alkoholverbot

Als erste Konsequenz hatte die Europäische Fußball-Union (UEFA) für die verbleibenden EM-Spiele das Sicherheitskonzept geändert und Anzahl der Beamten und Ordner erhöht. Das gilt speziell für die Hochrisikospiele, zu denen auch die Deutschland-Partie gegen Polen am Donnerstag in Saint-Denis (21.00 Uhr/ZDF) zählt. Trotzdem gab es am Sonntagnachmittag im Pariser Prinzenpark eine Panne, als ein kroatischer Fan nach dem 1:0 durch Luka Modric gegen die Türkei auf den Platz, gelangte, den Spieler umarmte und ihm einen Kuss aufdrückte.

An „sensiblen Orten“ des Landes hat die Regierung zudem ein Alkoholverbot erlassen. „Ich habe die Anweisung gegeben, entsprechende Maßnahmen einzuleiten“, sagte Innenminister Bernard Cazeneuve. Am Montagabend durfte in Lyon vor der Partie zwischen Belgien und Italien (21.00/ARD) aber nur in unmittelbarer Stadionnähe kein Alkohol verkauft werden. Im Zentrum der Stadt, wo auch die Fanmeile liegt, galt das Verbot nicht. Aus beiden Ländern wurden jeweils 15.000 Fans erwartet.