Habiba Osman, 35, Mutter von neun Kindern, nennt einen weiteren Grund. Sie sei mit sieben Kindern als "Pionierin" aufgebrochen, um die Lage zu erkunden. Nicht die ganze Familie solle ins Disaster laufen. An ihrer Brust unter dem ausgeblichenen weinroten Umhang nuckelt ihre sechs Monate alte Tochter. Sie schwitzt, das Köpfchen sinkt immer wieder zurück. Sie hat Fieber, die Tabletten, die sie in der Krankenstation bekommen hat, kann sie nicht schlucken. Habiba Osman will ihrem Mann eine Information schicken, er werde dann mit den beiden anderen Kindern nachkommen. Sie wird beten - und von Montagnacht an den Ramadan über fasten, damit ihre Wünsche erhört werden. "Selbst wenn wir sterben, natürlich fasten wir", sagte sie. Nur das kranke Kind natürlich nicht. 

 

Und dann ist da noch etwas. Sie hätten nicht für alle den Transport bezahlen können, sagt sie. Habiba Osman kommt aus dem Gürtel jenseits der Grenze, den die Übergangsregierung kontrolliere. Dort haben längst Geschäftemacher ihre Chance ergriffen. Auch Ali Yakab und die beiden Alten mussten umgerechnet zwei Euro pro Person zahlen, damit sie "wie die Hühner" auf einem Truck mit 120 anderen Leuten Richtung Dolo Ado mitgenommen wurden.

Zum Notfalltraining beim Stuttgarter THW

Die Regierung hat schon weiteres Land zur Verfügung gestellt, um noch ein neues Lager bauen zu können. Dass das bald nötig sein wird, glauben sie auch beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, dem UNHCR. Die Mitarbeiter versuchen, die seit gut drei Wochen anlaufende internationale Hilfe zu koordinieren. Wie ein Häuptling sitzt Jo Hegenauer in einer halbhoch mit Schilfmatten verkleideten Rundhütte im weiß-blau abgeschirmten Bereich auf dem Compound. Kühlschrank, Computer und Satellitentelefon, ein großer Besprechungstisch - das ist im Moment seine Kommandozentrale.

Hier versucht der Amerikaner mit dem weißen Schopf, dem Drei-Tage-Bart und einer Ray-Ban-Sonnenbrille die Fäden in der Hand zu halten. Hegenauer ist ein alter Fahrensmann der Flüchtlingshilfe, mehrere Jahre war er regelmäßig auch zum Notfalltraining beim THW in Stuttgart. Ihn haben sie gerade aus dem Kosovo abgezogen. Die Dimension der Not vergleichen sie hier mit den Katastrophen in Haiti und Pakistan. Seine Mitarbeiter haben höchsten Respekt für den effizienten und freundlichen Mann, der ständig am Telefon hängt und die Interessen unter einen Hut zu bringen versucht. Es läuft recht gut, Dolo Ado sei nun einmal weder New York noch Bonn, da dauere manches allein wegen der Kommunikation etwas länger, ist zu hören. Mancher wünschte sich schon, dass es schneller voranginge.

Die Al-Shabab trieb den Zehnt ein

Ali Yakab hat die beiden Alten hergebracht. "Die ersten 50 Kilometer sind wir bei Nacht zu Fuß gegangen", erzählt der 53-Jährige. Die Alten haben sie in einem Schubkarren transportiert. "Die Al-Shabab haben uns nicht erlaubt zu gehen", sagt er. Als aber das letzte Vieh gestorben war und sie merkten, dass sie von den Al-Shabab nichts bekommen würden, sind sie trotzdem los. "Sie wollten, dass wir dort sterben", glaubt Ali Yakab.

Die Dürre, erzählt er, sei für ihre Farm nur ein Problem gewesen. Doch dann kam dazu, dass vor einem Jahr die Al-Shabab angefangen hätten, den Zehnten als Steuer einzutreiben. "Wenn du zehn Ziegen hattest, haben sie eine genommen." Anfangs sei die Herrschaft von Al- Shabab in Somalia für sie "nur politisch" gewesen. Die Führer hätten versucht, ihre Religion durchzusetzen, vor allem bei den Jungen. "Aber im vergangenen Jahr haben sie sehr unreligiös angefangen, uns zu unterdrücken." Obwohl die Situation ohnehin immer schlechter wurde.

Die Jungen einer Gehirnwäsche unterziehen

Ali Yakab und die Seinen haben lange gezögert zu gehen. Denn diese Entscheidung wird für immer sein, glaubt er. "Wir sind jetzt ein Ziel für die Al-Shabab, wir sind markiert. Wenn wir zurückgehen, bringen sie uns um." Dass das Al-Shabab-Regime abgelöst werden könnte, daran glaubt er nicht mehr. Von anderen im Camp hat er gehört, dass internationale Hilfe jetzt auch nach Somalia kommen soll. Für sie hätte das nichts geändert, sagt er. "Warum sollten sie die Hilfe nicht auch stehlen, wenn sie uns unser Vieh nehmen?"

Seit Beginn des Exodus flohen meist Frauen. Ali Yakab ist einer von den Männern, die seit einigen Tagen in größerer Zahl eintreffen. Im Lager heißt es, Al-Shabab lasse die Männer nicht gehen. Ali Yakab sagt, sie versuchten vor allem die unter 20 zu erwischen, um sie einer "Gehirnwäsche" zu unterziehen, denn die Jungen könnten sie noch beeinflussen.

"Selbst wenn wir sterben, fasten wir"

Habiba Osman, 35, Mutter von neun Kindern, nennt einen weiteren Grund. Sie sei mit sieben Kindern als "Pionierin" aufgebrochen, um die Lage zu erkunden. Nicht die ganze Familie solle ins Disaster laufen. An ihrer Brust unter dem ausgeblichenen weinroten Umhang nuckelt ihre sechs Monate alte Tochter. Sie schwitzt, das Köpfchen sinkt immer wieder zurück. Sie hat Fieber, die Tabletten, die sie in der Krankenstation bekommen hat, kann sie nicht schlucken. Habiba Osman will ihrem Mann eine Information schicken, er werde dann mit den beiden anderen Kindern nachkommen. Sie wird beten - und von Montagnacht an den Ramadan über fasten, damit ihre Wünsche erhört werden. "Selbst wenn wir sterben, natürlich fasten wir", sagte sie. Nur das kranke Kind natürlich nicht. 

Und dann ist da noch etwas. Sie hätten nicht für alle den Transport bezahlen können, sagt sie. Habiba Osman kommt aus dem Gürtel jenseits der Grenze, den die Übergangsregierung kontrolliere. Dort haben längst Geschäftemacher ihre Chance ergriffen. Auch Ali Yakab und die beiden Alten mussten umgerechnet zwei Euro pro Person zahlen, damit sie "wie die Hühner" auf einem Truck mit 120 anderen Leuten Richtung Dolo Ado mitgenommen wurden.

Zum Notfalltraining beim Stuttgarter THW

Die Regierung hat schon weiteres Land zur Verfügung gestellt, um noch ein neues Lager bauen zu können. Dass das bald nötig sein wird, glauben sie auch beim Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, dem UNHCR. Die Mitarbeiter versuchen, die seit gut drei Wochen anlaufende internationale Hilfe zu koordinieren. Wie ein Häuptling sitzt Jo Hegenauer in einer halbhoch mit Schilfmatten verkleideten Rundhütte im weiß-blau abgeschirmten Bereich auf dem Compound. Kühlschrank, Computer und Satellitentelefon, ein großer Besprechungstisch - das ist im Moment seine Kommandozentrale.

Hier versucht der Amerikaner mit dem weißen Schopf, dem Drei-Tage-Bart und einer Ray-Ban-Sonnenbrille die Fäden in der Hand zu halten. Hegenauer ist ein alter Fahrensmann der Flüchtlingshilfe, mehrere Jahre war er regelmäßig auch zum Notfalltraining beim THW in Stuttgart. Ihn haben sie gerade aus dem Kosovo abgezogen. Die Dimension der Not vergleichen sie hier mit den Katastrophen in Haiti und Pakistan. Seine Mitarbeiter haben höchsten Respekt für den effizienten und freundlichen Mann, der ständig am Telefon hängt und die Interessen unter einen Hut zu bringen versucht. Es läuft recht gut, Dolo Ado sei nun einmal weder New York noch Bonn, da dauere manches allein wegen der Kommunikation etwas länger, ist zu hören. Mancher wünschte sich schon, dass es schneller voranginge.

Ein Horror für alle Hygienebeauftragten

Der Compound platzt bereits aus allen Nähten, die Mitarbeiter schlafen zum Teil in Zelten im Hof. Diese Woche wird ein paar Kilometer weiter ein neuer Bürokomplex aufgebaut. Das UNHCR stellt sich offenbar auf einen längeren Aufenthalt ein. 25 internationale Mitarbeiter hat Hegenauer einfliegen lassen. Das dauerte, denn bis Sonntag gab es nur zwei Flüge pro Woche von Addis nach Dolo, in jedem Zwölfsitzer finden sieben Personen Platz - die kurze Landebahn lässt nicht mehr Gewicht zu. Seit Montag gibt es eine tägliche Verbindung. 

Am Rande des Camps haben die Helfer Toiletten gebaut, doch die Wellblechtüren hängen schon schief in den Angeln, manche fehlen bereits. Die meisten Flüchtlinge sind gar keine Toiletten gewohnt. Sie verrichten ihre Notdurft im Freien - auch mitten im Lager oder in den Verschlägen, die eigentlich als Dusche dienen sollen. Ein Horror für alle Hygienebeauftragten. Dieses Thema könne man aber erst in den festen Camps ansprechen, sagt Giuseppe D'Andrea, Feld-Koordinator der Ärzte ohne Grenzen. Der Italiener betreut zum ersten Mal ein Flüchtlingslager. "Es ist, als redet man mit einem Fluss", sagt er. Denn hier im Transitcenter wechseln die Patienten praktisch täglich.

Wer leben wird steht in den Sternen

In langen Schlangen warten die Menschen vor dem Essenszelt. Wer aus der Reihe tanzt, wird harsch von Ordnern zurechtgewiesen. Hinter dem Zelt kochen Mitarbeiter einer einheimischen Hilfsorganisation in riesigen Töpfen unter freiem Himmel - täglich etwa 26.000 Essen. Am Rande des Camps sucht mancher ein gutes Geschäft. Händler aus Dolo Ado bieten Maismehl, Zucker und andere Lebensmittel an. Im Restaurant Awda nebenan sitzen viele junge Männer, die als Fahrer und Mitarbeiter bei Hilfsorganisationen angeheuert haben. Deren Jobangebote sind auf A-4-Papier an die Wand geklebt. Zu denen, die Arbeit gefunden haben, gesellen sich käufliche Damen. Hinten im Hof gehen Zimmer ab. Sie erinnern eher an Verschläge, schützen aber vor neugierigen Blicken.

Im Hospital kümmern sich Arra und Ärzte ohne Grenzen um die Schwächsten. In mehreren Zelten und einem grün gestrichenen Gebäude betreuen sie hier 63 Kinder unter fünf. In den ersten Tagen werden sie mit einer Nasensonde ernährt. Wuchtig kleben die weißen Pflaster zur Befestigung der Kanülen auf den kleinen schwarzen Köpfen. Draußen vor der Tür entsteht ein kleiner Tumult. Ein junger Mann hat ein Mädchen gebracht. Drei ist sie, hat über 40 Fieber, hockt, eine Wasserflasche im Arm, reglos am Boden.

Ihre Mutter, stellt sich heraus, hat gerade ein weiteres Kind geboren, ist viel zu schwach, um sich nun noch um die Dreijährige zu kümmern. Eigentlich gönnen die Somalier ihren Wöchnerinnen 40 Tage Ruhezeit. Der junge Mann ist der Cousin, aufgeregt lässt er sich zu der Mutter bringen. Jemand müsse bei dem anderen Kind bleiben. Er könne das auf keinen Fall machen, sagt er, hier seien ja nur Frauen bei den Kindern. Ein Männerhaus gibt es nicht. Ein Pfleger legt den Arm um ihn, geht ein paar Schritte. Dann schicken sie ihn los, im Camp jemand anderen zu suchen, der bei der Kleinen in dem viel zu großen grünen T-Shirt im Hospital bleiben kann. Wer leben und wer sterben wird, wessen Träume in Erfüllung gehen, das steht noch in den Sternen über Dolo Ado.

Hintergrund: Die katastrophalen Folgen des Ackerbaus in Dürreregionen

Beratung Die Afrikanische Union (AU) beruft einen Sondergipfel für den 9. August zu der Hungerkrise ein. Zu der Geberkonferenz am Sitz der AU in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba werden afrikanische Staatschefs und Vertreter von Industrienationen erwartet. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen sind 2,4 Milliarden US-Dollar (1,7 Milliarden Euro) nötig, um zwölf Millionen von Hunger bedrohte Menschen in Ostafrika zu versorgen. Bisher wurden die Hälfte der Summe zugesagt. 

Ausmaß Vielen Regierungen in Afrika wird vorgeworfen, zu wenig zur Linderung der Krise zu unternehmen. In Somalia ist die Not am schlimmsten. In dem Bürgerkriegsland sind nach UN-Schätzung 3,5 Millionen Menschen bedroht.

Fehler Der Bonner Agrarökonom Joachim von Braun fordert eine Umkehr. Die Nomaden könnten ihre Tiere nicht mehr bei Trockenheit wegtreiben, weil sich der Ackerbau ausgebreitet habe. Dabei sei die Weidewirtschaft in Dürreregionen "eine nachhaltige Art der Bewirtschaftung. Pflügt man diesen Boden und baut Getreide an, geht die Fruchtbarkeit schnell zurück."