Das Fachkräftepotenzial von Bürgern mit Migrationshintergrund müsse besser erschlossen werden als bisher, fordert Andreas Richter von der Industrie- und Handelskammer.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Murat Korkmazyürek, Gürkan Gür und Marcos Angas wissen, wie es ist, lauter Absagen auf Bewerbungen für eine Lehrstelle zu bekommen – trotz guter Noten. Doch die drei, die allesamt aus klassischen Migrantenfamilien stammen, haben sich nicht unterkriegen lassen und jeder eine beeindruckende Karriere hingelegt. Korkmazyürek als Architekt und Unternehmer, Gür und Angas in der Hotellerie. Ihre Laufbahnen sind Erfolgsgeschichten, hätten aber auch anders verlaufen können, wenn sie sich zu Beginn hätten beirren lassen.

 

Für die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart sind die drei vor allem Beispiele dafür, wie groß das Potenzial von Bürgern mit Migrationshintergrund ist. „Das Fachkräftepotenzial von Bürgern ausländischer Herkunft muss viel besser erschlossen werden als bisher“, meint Andreas Richter, der Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart auf einer Pressekonferenz. Er sieht auch die Schulen in der Pflicht, die Jugendlichen besser auf die Ausbildung vorzubereiten. So sollte seiner Meinung nach der Fokus mehr darauf liegen, Basiswissen, Rechnen und die deutsche Sprache zu vermitteln. Bei vielen Schulabgängern seien diese Kenntnisse nicht ausreichend, kritisiert er.

Aktuell 1600 freie Lehrstellen registriert

Bis 2030 fehlten in Baden-Württemberg rund 204 000 Fachkräfte. So richtig glaubten noch nicht alle daran, wie belastend der Fachkräftemangel noch werde. „In großen Unternehmen ist die Botschaft aber angekommen und man richtet sich entsprechend darauf ein“, so Richter. Er befürchtet, dass sich kleinere Unternehmen dauerhaft aus der Ausbildung verabschieden könnten, wenn sie mehrfach keinen Auszubildenden finden. Aktuell weise die Lehrstellenbörse der IHK Region Stuttgart 1600 freie Ausbildungsplätze aus. „Das sind Entwicklungen, die uns Sorgen machen“, so der Hauptgeschäftsführer der Kammer.

Laut Statistischem Landesamt haben in der Region Stuttgart 31 Prozent der Bürger einen Migrationshintergrund. 2012 habe von den 32 400 Schulabgängern in der Region jeder siebte einen ausländischen Pass gehabt. Jugendliche mit Migrationshintergrund und deutschem Pass kommen noch hinzu, sie würden von der Statistik nicht erfasst, so Richter.

Die IHK Region Stuttgart hat im Oktober eine neue Anlaufstelle eingerichtet, um Jugendliche mit Migrationshintergrund in eine Ausbildung zu vermitteln: Sie heißt Kausa und richtet sich nicht nur an Jugendliche und Unternehmen, sondern auch an Eltern. Schließlich spielten diese eine wesentliche Rolle bei der Berufswahl, so der Hauptgeschäftsführer der IHK. Bestätigt sieht sich die Kammer durch den hohen Zuspruch: täglich erreichten zehn Anfragen die Anlaufstelle. Mehr als 120 Unternehmen, 40 Jugendliche und 70 Eltern wurden bisher beraten.

Interesse an Auszubildenden aus Spanien

Viele Unternehmen scheinen sich aber aus der Not heraus auch im Ausland umzutun. Einer IHK-Umfrage zufolge besteht bei den Unternehmen aus der Region ein großes Interesse an Auszubildenden aus Südeuropa. Etwa jeder dritte Betrieb hat sich hierzu positiv geäußert. Vor allem Auszubildende aus Spanien und Portugal sind gefragt. Allerdings wünschen sich die Unternehmen laut der Umfrage externe Unterstützung – sowohl bei der Suche nach geeigneten Bewerbern als auch bei der sprachlichen und pädagogischen Begleitung. Man habe der Landesregierung ein entsprechendes Konzept vorgelegt, doch bisher sei nichts passiert, so Richter. „Es wäre schön, wenn sie an dieser Stelle zu Potte kommen könnte“, ,meint er.

Die IHK versucht zudem, mehr ausländische Betriebe zur Ausbildung zu bewegen. Viele würden die duale Ausbildung gar nicht kennen,. „Wir wollen bestehende Berührungsängste abbauen“, sagt Richter.

Junger deutscher Mutter eine Chance gegeben

Auch Murat Korkmazyürek wurde von einem Mitarbeiter der IHK dazu überredet, in seinem stetig wachsenden Architekturbüro auszubilden. Er hat eine junge Frau ohne Migrationshintergrund eingestellt: Katharina Maier. Sie habe nicht nur einen deutschen Namen, sondern auch besonders gute Noten gehabt, erzählt der Chef von m³architekten. „Aber uns war klar, sie wird es woanders schwer haben.“Die Stuttgarterin hat ein kleines Kind. Tatsächlich berichtet die 19-Jährige, 60 erfolglose Bewerbungen geschrieben zu haben. „Wir sind mit ihr sehr zufrieden“, sagt ihr Chef.