Die Finanzbehörden nehmen verstärkt kommunale Tochterunternehmen ins Visier und fordern Nachzahlungen in enormer Höhe. Städte- und Gemeindetag erheben schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung.

Stuttgart - Vielen Städten und Gemeinden droht finanzielles Ungemach. Immer öfter erhalten öffentliche GmbHs Bescheide der Finanzbehörden, wonach die Zuschüsse, die sie von Kommunen erhalten, der Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent unterliegen. Betroffen sind – neben anderen – die Regio Marketing GmbH und die regionale Wirtschaftsfördergesellschaft. Allein dabei geht es um Beträge in Millionenhöhe. Der Städtetag spricht von „einer Reihe von Fällen in einer erheblichen Größenordnung“. Sein geschäftsführendes Vorstandsmitglied Stefan Gläser wirft dem Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) vor, sich nicht um das Problem zu kümmern.

 

Besonders erbost sind die Kommunen darüber, dass die Steuer rückwirkend erhoben wird. „Das ist existenzbedrohend für die Beteiligungsunternehmen“, so Gläser gegenüber der StZ. Das Land verweist hingegen darauf, dass es wenig Ermessensspielraum gebe und dass es sich um eine bundeseinheitliche Lösung bemühe.

Der Ausgangspunkt

Die Kommunen auch in der Region Stuttgart sind längst nicht mehr nur Behörden, sondern oftmals regelrechte Konzerne mit zahlreichen Beteiligungsunternehmen. Es gibt viele Aufgaben – von der Abfallentsorgung über den Betrieb von Rechenzentren, Messen und Krankenhäusern bis hin eben zur Tourismus- und Wirtschaftsförderung –, die Städte und Gemeinden zumindest teilweise in privatrechtlich organisierter Form erledigen. Diese Betriebe werden mit teils erheblichen Zuschüssen subventioniert, Zuschüsse, für die nach bisheriger Lesart keine Umsatzsteuer anfiel.

Klar Position bezogen

Die Europäische Union hingegen plädiert schon lange dafür, öffentliche und private Unternehmen steuerlich gleich zu behandeln – um einen fairen Wettbewerb zu garantieren. Überdies hat der Bundesfinanzhof (BFH) in München seit 2008 in mehreren Urteilen unter Bezugnahme auf die europäische Rechtsprechung klar Position bezogen. Aus Sicht des Landes bleibt demnach für Fälle „echter nicht besteuerbarer Zuschüsse nicht mehr viel Raum“, wie Finanzminister Schmid befindet.

Das Thema steht deshalb aktuell auch auf der politischen Tagesordnung einer Bund-Länder-Kommission. Die Beratungen seien noch nicht abgeschlossen, so das Bundesfinanzministerium auf Anfrage der StZ. Fest steht aus Berliner Sicht aber eines: eine generelle Steuerbefreiung von Unternehmen, die sich ganz oder teilweise im Besitz von Kommunen, des Bundes oder des Landes befinden, sei aufgrund EU-rechtlicher Vorgaben „nicht möglich“.

Die Position der Kommunalverbände

Der Gemeindetag, der Landkreistag und der Städtetag haben das Finanz- und Wirtschaftsministerium schon mehrfach auf die Folgen einer Umsatzbesteuerung hingewiesen und auf Arbeitsebene Gespräche geführt. Zuletzt am 5. Februar dieses Jahres ging erneut ein Schreiben an das Ministerium, das der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Darin bitten die Verbände den Finanzstaatssekretär Ingo Rust, „sich dieser Problemstellung persönlich anzunehmen“, das gewünschte Gespräch kam nach Angaben von Stefan Gläser, dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied des Städtetags, bisher nicht zustande. „Die Behandlung des Themas durch die politische Spitze ist mehr als unbefriedigend“, sagt er.

Übergangsfrist gefordert

Die Kommunalverbände fordern, dass die Zuschüsse der Kommunen an die GmbHs, um Defizite auszugleichen, nicht unter die Umsatzsteuer fallen. Falls eine grundsätzliche Befreiung nicht möglich ist, sollten klare Vorschriften und eine Übergangsfrist bis 2017/2018 erlassen werden.

Der Fall Regio Stuttgart Marketing

Im Rahmen einer Betriebsprüfung des Finanzamts für Körperschaften für das Jahr 2006 sieht sich die Regio Stuttgart Marketing Nachforderungen von 300 000 Euro ausgesetzt – die jährlichen Zuschüsse der Gesellschafter von zusammen 1,7 Millionen Euro unterlägen der Umsatzsteuer. Gesellschafter der Regio Marketing sind der Verband Region Stuttgart, der Verein Regio, dem 35 Kommunen angehören, und die Stuttgarter Marketing GmbH. Wird die Steuer rückwirkend erhoben, geht es um eine Forderung von mehr als zwei Millionen Euro, künftig würden pro Jahr rund 328 000 Euro anfallen. Die Gesellschaft müsste im Blick auf die möglichen Forderungen nun eigentlich Rücklagen bilden, was ihre Geschäftstätigkeit aber stark einschränken würde. Deshalb verabschieden die Gesellschafter momentan Patronatserklärungen, laut derer sie gegebenenfalls für Steuernachforderungen aufkommen.

„Wehret den Anfängen.“

Der Fall Wirtschaftsförderung

Auch die Wirtschaftsfördergesellschaft Region Stuttgart (WRS) bekam zum Jahreswechsel einen Bescheid über Nachzahlung von Umsatzsteuer für die Zuschüsse von jährlich sechs Millionen Euro, die sie vom Verband Region Stuttgart erhält. Dieser Bescheid wurde zwischenzeitlich zurückgezogen, weil weitere Prüfungen nötig seien. Auch für die WRS-Geschäftsführung stellen mögliche Steuernachforderungen in dieser Höhe ein großes Problem dar. Da keine Rücklagen gebildet wurden, droht sofort die Überschuldung und der Konkurs.

Der Ausblick

Städte-, Gemeinde- und Landkreistag befürchten, dass bald nicht nur Tourismus- und Wirtschaftsförderungsgesellschaften ins Visier der Steuerfahnder geraten könnten. „Eine grundsätzliche Umsatzbesteuerung von Zuschüssen an öffentliche Beteiligungsunternehmen beträfe jegliche Form der Unternehmensbeteiligung der öffentlichen Hand und eine damit verbundene Zuschussgewährung zum Defizitausgleich – also auch Flughäfen, Messen, Forschungseinrichtungen, Theater, Museen, Krankenhäuser“, heißt es im Schreiben an das Land. Stuttgarts Kämmerer Michael Föll (CDU) sieht für den Bereich der über viele Beteiligungsunternehmen verfügenden Landeshauptstadt aktuell zwar nur die Tourismusgesellschaft Stuttgart Marketing in Gefahr, eine nächste Welle, die auch andere Töchter erfassen könnte, sei aber nicht auszuschließen. Insofern sei die Initiative der kommunalen Verbände zu begrüßen. Wie sagt Föll: „Wehret den Anfängen.“