Das Fehlen von qualifiziertem Personal bereitet den Unternehmen in Baden-Württemberg mehr Sorgen als die Konjunkturentwicklung.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die Wirtschaft im Südwesten dürfte im kommenden Jahr kräftiger wachsen als im Bund. Dies erklärte der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages, Peter Kulitz. Möglicherweise werde die Wirtschaft im Lande doppelt so stark wachsen wie im Bundesdurchschnitt, meinte Kulitz, der auch Präsident der IHK Ulm ist. Wenn bundesweit - wie kürzlich von führenden Wirtschaftsforschungsinstituten vorausgesagt - ein Wachstum um 0,8 Prozent erzielt werde, könne im Südwesten ein Plus um 1,5 Prozent erreicht werden, meinte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Andreas Richter.

 

Kulitz erklärte, Baden-Württemberg könne auch einen möglichen Abschwung besser verkraften als andere Bundesländer, da die Unternehmen dafür inzwischen besser gewappnet seien als bei der letzten Krise 2008. Damals hatte besonders das exportabhängige Baden-Württemberg unter dem drastischen Rückgang der Ausfuhren gelitten. Falls es zu einem Abschwung komme, müsse wieder auf das bewährte Mittel einer umfangreichen Kurzarbeit zurückgegriffen werden.

Die Wirtschaft im Land floriert nach wie vor

Weitaus mehr als die konjunkturellen Sorgen treibe die Unternehmen der laut Richter "ausgeprägte Mangel an qualifizierten Fachkräften" um. "Wir haben praktisch Vollbeschäftigung", sagte der Hauptgeschäftsführer. Dieser hat unter den zwölf Kammern im Lande die Federführung für den Bereich Volkswirtschaft. "Dass Fachkräfte fehlen, spüren die Unternehmen eben schon heute täglich", sagte Kulitz. Auch die jüngste Konjunkturumfrage bei 4000 Unternehmen im Lande zeige, dass die Wirtschaft nach wie vor floriere. So betrachteten 53 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage als gut. Eine weitere Verbesserung erwartet aber nur noch jedes vierte Unternehmen. Vor vier Monaten hatten dagegen noch 45 Prozent aller Unternehmen mit einer Verbesserung ihrer Geschäfte gerechnet. Etwa etwas mehr als 50 Prozent aller Betriebe verzeichneten konstante, 25 Prozent sogar noch steigende Auftragseingänge. Nur 20 Prozent aller Unternehmen rechnen dagegen mit weniger Bestellungen. Als Zeichen für den insgesamt immer noch überwiegend vorhandenen Optimismus wertet der Kammerpräsident auch, dass 30 Prozent der Firmen in den nächsten zwölf Monaten in Deutschland mehr investieren wollen als in den vergangenen zwölf Monaten.

Trotz der allgemein noch vorhandenen Zuversicht fürchten auch die Kammern, dass sich die Schuldenproblematik der verschiedenen Staaten zu einer Finanzkrise ausweiten könnte. "In den nächsten Wochen stehen wir am Scheideweg", sagte Kulitz. Die Deutsche Bundesbank rechnet für das Winterhalbjahr 2011/2012 mit einer Eintrübung der Konjunkturentwicklung. Vor allem die Bestellungen von außerhalb der EU seien deutlich zurückgegangen.

Unternehmer sollen sich an Referendum beteiligen

Zur Landespolitik sagte Kulitz, es sei richtig, dass die Regierung den Kauf der EnBW-Aktien nochmals prüfe. Er glaube aber nicht, dass die Landesregierung ein Interesse daran habe, den Kauf rückgängig zu machen. Schließlich wolle sie die EnBW in ein grünes Unternehmen verwandeln. "Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland mit einem eigenen Energieversorger", meinte der Stuttgarter IHK-Hauptgeschäftsführer Richter, "möglicherweise erweist sich der Kauf der EnBW-Aktien eines Tages noch als ein grandioser Schachzug."

Die Industrie- und Handelskammern rufen die Unternehmer dazu auf, sich an der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 zu beteiligen. Sie würden, so Kulitz, weiter ihre Argumente darlegen, aber keine Empfehlung für das Votum geben.

Folgen der Schuldenkrise

Wachstum: Angesichts der Schuldenkrise im Euroraum hat der Arbeitgeberverband Gesamtmetall vor den Risiken für die Metall- und Elektroindustrie gewarnt. "Niemand weiß, was sich bei der Schuldenkrise zusammenbraut", sagte Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser. Die Dynamik des Wachstums lasse nach und die Erwartungen der Unternehmen hätten sich seit sieben Monaten kontinuierlich verschlechtert.

Investitionslücke: Wenn Banken weniger Investitionen der Realwirtschaft finanzierten, sei die Metall- und Elektroindustrie besonders betroffen, meinte Kannegiesser. Eine Investitionslücke sei kaum noch aufholbar. Zudem seien die staatlichen Konjunkturprogramme fast ausgetrocknet.

Vorkrisenniveau: Die Talfahrt der Branche seit der vergangenen Krise hält der Verband mittlerweile aber für beendet. Erstmals werde im Durchschnitt wieder auf dem Vorkrisenniveau von Mitte 2008 produziert. Von jetzt an sei jedes Prozent Wachstum echtes Wachstum, sagte Kannegiesser. Zuvor sei der wirtschaftliche Aufschwung nur reines Aufholen gewesen.