Jahrzehntelang hat das BHZ Stuttgart unter der Marke Wenger Inhalier- und Absauggeräte hergestellt. Ende Juli ist Schluss. Nun wird nach einem Ersatzprodukt für die fittesten unter den Mitarbeitern gesucht. Vorschläge sind willkommen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Thomas Kammerer ist der Mann fürs Komplizierte in der Abteilung Medizintechnik im Behindertenzentrum BHZ Stuttgart. „Fummelarbeiten machen mir Spaß“, sagt der 33-jährige Stuttgarter. Er sitzt an seinem Arbeitsplatz in der Werkstatt, vor sich jede Menge Schrauben und Werkzeug. Gerade baut er die Heizung in den Handgriff eines Inhaliergeräts ein: eine Besonderheit, die es nur bei Geräten der Marke Wenger gibt, eine Firma des BHZ. „Das ist die schwierigste Arbeit, die können nur ganz wenige bei uns“, sagt Kammerer stolz. Schräg hinter ihm auf einem Rollwagen stehen jede Menge fertige Inhalier- und Absauggeräte. Letztere werden ebenfalls in der Abteilung Medizintechnik gefertigt – noch. Denn am 31. Juli stoppt die Leitung des BHZ aus Kostengründen die komplette Wenger-Produktion. „Das tut uns richtig weh“, sagt BHZ-Geschäftsführer Albert Ebinger.

 

Eigentlich ist man stolz auf die Eigenprodukte. Mit den Inhalier- und den Absauggeräten hatte sich das BHZ rund 35 Jahre auf dem freien Markt behauptet und bewiesen, dass man mit Menschen mit Behinderung auch sehr komplexe, hochwertige Eigenprodukte herstellen kann. „In einem Gerät sind 128 Teile, wer so etwas zusammenbaut, der kann etwas“, sagt Ebinger. In der Abteilung Medizintechnik arbeiten die besonders fitten und feinmotorisch geschickten der insgesamt rund 300 Werkstattbeschäftigten des BHZ. Zwei Autisten sind darunter, ein Mann mit einer Angststörung und einer, der intelligent ist, aber nicht spricht. Wegen seines Mutismus hat er auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance.

Einen Bonus hat es nicht gegeben

Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre hatte das BHZ die Firma Wenger übernommen. Schon damals wurde entschieden, die Geräte weiter unter der Marke Wenger zu vertreiben. Einen Bonus habe es für die Behindertenwerkstatt nicht gegeben. Man sei zertifiziert und erfülle alle DIN-Vorschriften und Richtlinien, betont die Technische Leiterin des BHZ, Carola Meyer.

Lange war Wenger für das BHZ nicht nur ein Vorzeigeprojekt, sondern auch profitabel. Besonders Mitte der 90er Jahre brummte das Geschäft. Der Umsatz lag bei fast drei Millionen Euro, 3500 Geräte wurden im Jahr produziert. „Die Zeiten sind leider vorbei“, sagt Ebinger. Inzwischen sei man bei 400 bis 500 Geräten im Jahr angekommen. Der BHZ-Geschäftsführer macht mehrere Faktoren für das Aus von Wenger verantwortlich: Wegen der Gesundheitsreform haben die Krankenkassen seit 2008 auf die Kostenbremse gedrückt. Sie seien nur noch bereit, den Preis für Billigprodukte aus Fernost zu bezahlen. Die eigenen, hochwertigen Produkte könnten preislich nicht mithalten. Sie seien so gebaut, dass sie Jahrzehnte überdauern. „Doch das ist heute nicht mehr wichtig“, bedauert er. Hinzu komme, dass die Regulation nach dem Brustimplantate-Skandal bei medizinischen Produkten deutlich verschärft worden sei. Das erhöht die Produktionskosten weiter. Angesichts der sinkenden Umsatzzahlen wurde vergangenes Jahr die Reißleine gezogen. „Wir können uns nicht erlauben, drauf zu legen“, sagt Ebinger.

Kein Anspruch auf anspruchsvolle Arbeit

Kündigungen muss er zwar nicht aussprechen. Der Entwicklungsingenieur der Abteilung hat bereits einen neuen Arbeitgeber, eine weitere Mitarbeiterin wurde in die Personalabteilung versetzt. Aber für die knapp zehn behinderten Wenger-Beschäftigten wird es schwer. „Sie brauchen die Herausforderung“, sagt Carola Meyer. Sie haben zwar einen Rechtsanspruch auf Beschäftigung, aber nicht auf anspruchsvolle Arbeit. Schon jetzt übernimmt die Abteilung auch leichtere Aufgaben: Mitarbeiter kleben Etiketten auf Flaschen, die einmal in einem Feinkostgeschäft verkauft werden. „Doch das gefällt ihnen auf Dauer nicht“, sagt Carola Meyer. Immerhin: noch drei Jahre kann das BHZ für eine Fremdfirma Inhaliergeräte fertigen – unter dem Fremdlabel. Die Stückzahlen lägen aber deutlich unter der Eigenproduktion. Ob es danach weiter geht, ist fraglich.

Albert Ebinger jedenfalls will die fittesten unter seinen Leuten nicht mit einfachen Arbeiten unterfordern. Der Geschäftsführer ist auf der Suche nach Ersatz: nach passenden, elektromechanischen sowie medizintechnischen Aufträgen. Er hat schon einen Produktmanager beauftragt, außerdem kontaktiert das BHZ die Firmen, mit denen es bereits zu tun hatte. „Leider werden keine Haarföhne mehr in Deutschland gebaut“, sagt er. So etwas hätte er sich sonst vorstellen können.

Betroffener hofft auf Erfolg bei Suche nach Ersatz

Thomas Kammerer aus der Werkstatt zumindest hofft, dass das BHZ bei seiner Suche erfolgreich ist. Es macht ihn glücklich, etwas zu schaffen, das auch funktioniert. „Das ist eine schöne Arbeit, die jetzt wegfällt“, sagt der Stuttgarter.