Wegen eines Streits über die Bezahlung von Betreuungskräften drohte fünf Kindern mit Behinderungen im Kreis Tübingen ein unfreiwilliger Schulwechsel. Nun bezahlt der Landkreis, er fordert aber das Geld vom Land zurück.

Tübingen - Einen 14 Jahre alten Jungen aus Kusterdingen mit Downsyndrom hat eine gute Nachricht erreicht: Moritz Groß darf weiterhin auf die Tübinger Geschwister-Scholl-Schule gehen (die StZ berichtete). Das war zuletzt fraglich geworden, weil sich das Landratsamt und das Staatliche Schulamt über die Finanzierung einer Fachkraft zur Betreuung des behinderten Jungen in einer Regelschule uneins waren. Der Zwist ist zwar keineswegs beendet, doch der Tübinger Landrat Joachim Walter hat eine Zwischenlösung gefunden, die diesem Schüler und vier weiteren den Verbleib an ihren Schulen sichert.

 

Wegen des Datenschutzes kann der Landrat auf einzelne Fälle nicht eingehen. „Im Sinne der Schüler war es wichtig, die Hängepartie zu beenden“, sagt er und nennt die Grundzüge: Bis eine klare gesetzliche Regelung festliegt, wird das Landratsamt in Vorleistung gehen. Die Kostenübernahme erfolgt ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, um keine Präzedensfälle zu schaffen. Im Gegenzug haben die Eltern dieser Kinder eine Abtretungserklärung an den Landkreis unterzeichnet. Damit wird dieser versuchen, sich die Kosten vom Land zurückzuholen. Das hat für die Eltern den großen Vorteil, dass nicht sie einen meist sehr belastenden Rechtsstreit ausfechten müssen. „Für die Inklusion fehlen die Voraussetzungen“, sagt Martina Groß. Die Mutter von Moritz spricht von einem „rechtlosen Raum“.

„Zügig mit uns an einen Tisch setzen“

Das Problem lässt sich allgemein beschreiben: Die Landkreise vertreten den Standpunkt, dass Schüler mit geistiger Behinderung in den Regelschulen nur von Sonderpädagogen begleitet werden sollen. Damit wäre das Land für die Finanzierung zuständig. Doch die Schulämter des Landes argumentieren, dass für sogenannte Assistenzleistungen wie die Pausenbetreuung die Eingliederungshilfe zuständig sei – und die wird von den Landkreisen getragen.

„Das Land soll sich zügig mit uns an einen Tisch setzen und klären, wer Anspruch auf welche Leistungen hat und wer diese Leistungen zu bezahlen hat“, sagt Walter, der seit Kurzem auch Präsident des Landkreistages ist. Die jetzige Situation sei absolut unbefriedigend – „für die Eltern und für die Landkreise“. Notfalls will der Landkreis Tübingen durch alle Instanzen gehen, um endgültig klären zu lassen, wie Kosten der Inklusion behinderter Kinder an Schulen aufgeteilt werden.

Die Gerichte entscheiden nicht einheitlich

Die Gerichte haben sich bereits mit solchen Fällen befasst. Die Mutter eines Kindes mit Trisomie 21 hatte laut Nachrichtenagentur dpa vom Kreis Tübingen die Finanzierung eines Schulbegleiters gefordert. Auf den negativen Bescheid des Landkreises hin klagte sie vor dem Sozialgericht Reutlingen, wo sie unterlag. In zweiter Instanz, vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, war die Mutter dagegen erfolgreich. Es verpflichtete den Landkreis als Träger der Eingliederungshilfe, die Kosten einer qualifizierten Schulbegleitung im Umfang von 17 Stunden und 15 Minuten pro Woche bis zu einem Betrag von höchsten 43 Euro pro Stunde zu übernehmen. Das Ziel des Landes, den Eltern behinderter Kinder Wahlfreiheit für ihre wohnortnahe Wunschschule zu gewähren, hält Landrat Walter kurzfristig für unrealistisch. Stattdessen hält er zunächst Schwerpunktschulen für die Inklusion von Gruppen behinderter Schüler für möglich.

Moritz besuchte nie eine Förderschule

Moritz Groß, der Junge mit Downsyndrom besuchte bis 2012 in seinem Wohnort Kusterdingen in der Grund- und Hauptschule eine integrative Außenklasse der Fördereinrichtung Kirnbachschule Pfrondorf. Sieben Jahre lang wurde er in der Regelschule unterrichtet und dabei von einer Sonderpädagogin betreut. Doch diese Hauptschule wurde 2012 aufgelöst.

Ganz im Sinne der Inklusion behinderter Schüler an Regelschulen wurde Moritz von der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen aufgenommen. „Als einziger Schüler mit geistiger Behinderung“, wie die Mutter sagt. Ihr Sohn ginge gern dorthin, doch die sonderpädagogische Begleitung reiche bei Weitem nicht aus. Das sah die Tübinger Schulleitung genauso. Ohne kompetente Schulbegleitung fehle die Voraussetzung für den Verbleib auf der Schule. Und ohne die Zwischenlösung hätte Moritz die Regelschule nach insgesamt acht Jahren verlassen müssen. Als Alternative wäre ihm laut seiner Mutter nur der Besuch einer Förderschule geblieben.