Burger House, Burger King und Sausalitos statt inhabergeführter Gastronomiebetriebe: Wenn es so weitergeht, finden sich in der Stuttgarter City bald nur noch Ketten. Ein Plädoyer für mehr Vielfalt in der Stadt.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Über den Siegeszug der Textilketten wurde in der jüngeren Vergangenheit regelmäßig berichtet: Die Tatsache, dass sich kaum mehr ein kleiner Einzelhändler die Mieten der Stuttgarter Innenstadt leisten kann und der damit verbundene Umstand, dass deutsche Fußgängerzonen immer mehr zu einer Aneinanderreihung von H&M-Filiale und Vodafone-Shop verkommen, wurde kritisiert.

 

Diese Entwicklung kann man aber längst auch auf die Gastronomie übertragen. Der Siegeszug der Systemgastronomie ist auch in Stuttgart – je nach Sichtweise – zu bewundern oder zu bedauern. Das zeigen zwei aktuelle Beispiele. Vor kurzem wurde die alteingesessene Trattoria da Loretta im Hospitalviertel durch die Filiale einer Münchner Kette mit Namen Burger House ersetzt. „Lange habe ich versucht, meine Trattoria einem hiesigen Gastronomen zu überlassen. Vor allem die hohen Kosten haben die meisten aber abgeschreckt. Nur noch Ketten können sich die Preise des Zentrums leisten“, sagt Loretta Petti.

Loretta Petti kritisiert die Stuttgarter Politik scharf

Dabei kritisiert Petti auch die Stuttgarter Politik scharf. „Nicht nur die Pachthöhe, sondern auch neue und alte Gebühren der Stadt, Unverständnis und unnötige Schikanen jagen uns Kleine immer mehr aus dem Zentrum heraus. Kleinteiligkeit und Vielfalt, eine Parole des Wahlkampfes von OB Fritz Kuhn, kommen nicht von allein, sie wollen gefördert werden“, sagt Petti. Ihre zehn Jahre an der Büchsenstraße seien geprägt gewesen von Baustellen. „Ein Mal links, ein Mal rechts, dann plötzlich schräg gegenüber oder direkt vor der Tür wurde ohne Warnung ausgebuddelt, erneuert, abgerissen, gebaggert“, so Petti weiter.

In der Sanierung des Hospitalviertels spiegle sich die Tatsache wieder, dass die Stadt zwar hektisch in Bewegung sei, das Ungetüm aber ziellos und ohne Fahrplan fahre. „Klar, dass in dieser Situation die Interessen der Investoren die Richtung vorgeben“, so Petti. Die Wirtin warnt vor einer „Destrukturierung des Stadtbildes. Im Stuttgarter Zentrum gibt es kaum noch Zusammenhalt. Überall herrscht Shopping- und Eventhysterie. Wenn es ums Essen geht, dann dominiert Fast Food, egal wie nobel und egal wie bio“, sagt Loretta.

Auf der Theodor-Heuss-Straße zieht bald Burger King ein

Vom Hospitalviertel sind es nur wenige Schritte bis zur Theodor-Heuss-Straße. Der einzige Anbieter, der an der ehemaligen Ausgehmeile noch konstant gut funktioniert, ist die Systemgastronomie Sausalitos. Da verwundert es wenig, mit wem Lutz Metzger, Betreiber der Suite 212, verhandelt hat, als es um die Nachfolge seines Hybrids aus Club, Bar und Lounge ging. „Ich habe mit Vapiano, Burger King und einer weiteren Kette Verhandlungen geführt“, erklärt Lutz Metzger.

Am Ende hat Burger King zugeschlagen. Krasser könnte der Bruch an dieser Stelle kaum ausfallen. Auf die architektonisch anspruchsvolle Mutter aller Lounges folgt auf der Theodor-Heuss-Straße der Inbegriff der gastronomischen Uniformität. „Mit einem inhabergeführten Betrieb spielt man die Pacht an der Theo nicht mehr ein“, so Metzger. „Bei einer Systemgastronomie ist dagegen alles strukturiert, die Kosten sind minimiert, alles wird ganz nüchtern und ohne Emotionen betrachtet.“

An der Bolzstraße sind fast nur noch Filialisten zu finden

Auch an anderer Stelle in der Stuttgarter City haben gastronomische Ketten längst das Ruder übernommen. An der Ecke Bolz- und Lautenschlagerstraße buhlen mit Vapiano, Tialini, Ehrmanns, Coa, Tobi’s ausschließlich Filialisten um die Gunst eines Publikums, das scheinbar zum einen keine Zeit mehr für echtes Essen hat, zum anderen offensichtlich keine allzu großen Ansprüche zeigt, wenn es um die Nahrungsaufnahme geht.

Die letzten Rückzugsorte von Vielfalt und Individualität sind in diesem Bereich der City das Sternerestaurant 5 und die Kneipen-Institution Palast der Republik. Im 5 kostet der Mittagstisch nicht mehr als ein Mittagessen bei Vapiano, schlägt die Kette aber um Längen. Und der Palast wirkt längst wie das letzte gallische Dorf der Unangepassten zwischen den römischen Lagern Vapianorum und Zusatzstoffelum.

Gastronomische Vielfalt wandert aus der Innenstadt ab

Vielleicht hat Loretta Petti ja wirklich recht und die Innenstadt ist aus gastronomischer Sicht verloren. Lorettas Konsequenz: die Flucht in den Süden der Stadt. Dort betreibt sie ihr Alimentari da Loretta in der Nähe des Marienplatzes. Der Marienplatz ist ein gutes Beispiel, dass auch Investoren ein Herz für Vielfalt haben können. Als die Flächen im Kaiserbau, in denen heute die Pizzeria L.A. Signorina und das Condesa beheimatet sind, frei wurden, standen die üblichen Ketten Schlange. Der Besitzer der Immobilie aus Berlin, die Copro-Gruppe, entschied sich gegen die höheren Angebote, „weil wir uns individuelle Konzepte für den Kaiserbau gewünscht haben“, so ein Sprecher der Gruppe. Condesa, Noir, Kaiserbau, L.A. Signorina, bald auch noch das Ratzer Plattencafé, so sieht die Realität im Süden aus. Burger House, Burger King, Sausalitos und Food Lounge lautet der Status quo in der Stuttgarter Innenstadt. Bleibt wie so oft am Ende die Frage, wem die Stadt gehört oder zumindest, in was für einer Stadt wir leben wollen.