Chefredaktion : Holger Gayer (hog)
 

„Die Oper gehört ins Zentrum“

Von Kulturchef Tim Schleider

Es ist schlicht vertrackt: Als wenn die seit Jahren dringend notwendige Sanierung des Stuttgarter Opernhauses nicht schon kompliziert und teuer genug wäre – bevor es am Eckensee mit dem ersten Hammerschlag überhaupt losgehen kann, muss zunächst einmal ein Ausweichquartier besorgt werden. Mindestens drei Spielzeiten lang, wenn nicht vier oder fünf, müssen Oper und Ballett an einem anderen geeigneten Ort dieser Stadt spielen können. Vieles, was im aktuellen Spielplan im Großen Haus gerade gezeigt wird, ist sicher so gut, dass es auch an jedem anderen Ort dieser Stadt gezeigt werden könnte, notfalls auch in einer Messehalle oder unterm Fernsehturm, vorausgesetzt, die technischen Voraussetzungen wären danach. Die Frage ist nur, wie viele der gegenwärtig rund 300 000 Besucher des Großen Hauses würden dorthin folgen?

Es ist schlicht vertrackt: Als wenn die seit Jahren dringend notwendige Sanierung des Stuttgarter Opernhauses nicht schon kompliziert und teuer genug wäre – bevor es am Eckensee mit dem ersten Hammerschlag überhaupt losgehen kann, muss zunächst einmal ein Ausweichquartier besorgt werden. Mindestens drei Spielzeiten lang, wenn nicht vier oder fünf, müssen Oper und Ballett an einem anderen geeigneten Ort dieser Stadt spielen können. Vieles, was im aktuellen Spielplan im Großen Haus gerade gezeigt wird, ist sicher so gut, dass es auch an jedem anderen Ort dieser Stadt gezeigt werden könnte, notfalls auch in einer Messehalle oder unterm Fernsehturm, vorausgesetzt, die technischen Voraussetzungen wären danach. Die Frage ist nur, wie viele der gegenwärtig rund 300 000 Besucher des Großen Hauses würden dorthin folgen?

Das Staatstheater hat da in jüngerer Zeit leider Erfahrungen sammeln müssen: Insgesamt drei Spielzeiten lang musste das Schauspiel während der Chaos-Sanierung im Kleinen Haus von 2010 bis 2013 in ein Ausweichquartier, zuletzt in die Spielstätte Nord in der Löwentorstraße. Und obwohl der damalige Intendant Hasko Weber ein gutes Programm bot und obwohl die Theaterleute alles taten, um es den Besuchern kommod zu machen: Die Zuschauerzahlen sanken im Schauspiel dramatisch von rund 144 000 auf zuletzt 76 000 – das war ein Minus von 53 Prozent. Das brachte immense Einnahmeverluste, die Stadt und Land noch zusätzlich zum Bau löhnen mussten.

Die Treue des Publikums ist über viele Jahre gewachsen

Wer also für eine möglichst zentrale Ersatzspielstätte plädiert, ob nun als Vertreter, Freund oder als kritischer Beobachter der Staatstheater, tut dies nicht, weil es ihm an Flexibilität oder an Selbstbewusstsein mangelt. Sondern weil er beide Seiten jener Medaille im Blick hat, welche die wahre, die überregional einmalige Stärke der Stuttgarter Theater ausmacht. Da ist zum einen die große Qualität der in Oper und Ballett geleisteten Arbeit, eben die Kunst. Da ist zum anderen das Interesse, die Begeisterung, die Treue des Publikums, oft über viele Jahre hinweg gewachsen. Diese Verbundenheit der Künstler mit den Zuschauern ist ein eigenes Pfund, das von der Kulturpolitik zu pflegen ist.

Wenn es um Spielstätten geht, muss man deren Vor- und Nachteile sorgsam abwägen. Man wird immer Kompromisse schließen müssen. Kulturschaffende sind da übrigens in aller Regel deutlich flexibler und kreativer als so manches Großunternehmen, das Politik und Verwaltung im Zweifel gern so lange unter Druck setzt, bis all seine Standortwünsche vom Steuerzahler erfüllt sind.

Mercedes-Museum und Postgebäude sind jott weh deh

Von den vier gerade diskutierten Ersatzspielstätten-Standorten mag das Postgebäude in der Ehmannstraße cool und das Areal am Mercedes-Benz-Museum preiswert sein. Aber beide Areale sind im Saison-Alltagsbetrieb für Abonnenten und Theater-Spontanbesucher jott weh deh. Stuttgart würde nach fünf Jahren ein schön renoviertes Opernhaus eröffnen – und sich sein Stammpublikum neu suchen müssen. Kein Unternehmen dieser Welt würde mit einer erfolgreichen Marke, einem bestens eingeführten Produkt so umgehen. Stadt und Land sollten es mit ihrem Opernhaus des Jahres und dem Global Dance-Player Ballett noch viel weniger tun.

Oper und Ballett auch für den Übergang zentral, noch dazu in einem Bau, welcher der Kultur der Landeshauptstadt auch danach weiter dienen kann: Dies wäre die Lösung, die langfristig für alle den größten Gewinn brächte. Vier Standorte hat der OB ins Spiel gebracht. Ist das wirklich schon der Weisheit letzter Schluss? Wer das glaubt, unterschätzt die Gestaltungskraft einer wirklich perspektivisch denkenden Politik und den Potenzialen einer aktiven Bürgergesellschaft. Mehr Mut, bitte.

Pro Mercedes-Museum

„Auf Zeit geht’s auch am Neckar“

Von Lokalchef Holger Gayer

Was wäre die Stadt ohne ihre Kulturschaffenden? Ihre Musiker, Maler, Tänzer, Autoren? Und was wäre sie ohne die Orte, an denen sich die Kunst erst entfalten kann? Ihre Bühnen, Hallen, Museen, Galerien? Trist wäre sie, die kulturlose Stadt, grau, furchtbar. Stuttgart braucht die Kultur wie die Luft zum Atmen; sie ist ein Lebenselexir und eine Grenzgängerin, sie öffnet Schranken, betritt Neuland, bricht Tabus. Nur: Muss sie das stets in der Innenstadt tun?

Die Debatte über den passenden Ort für eine Interimsoper trägt bisweilen seltsame Züge. Die Fans einer Ausweichspielstätte in der Nähe des sanierungsbedürftigen Littmann-Baus wollen in großen Linien denken. Das ist ja auch verlockend: In ihrer Theorie verschwindet die B 14 flugs im Nirgendwo, stattdessen öffnet sich eine Kulturmeile mit einer neuen Philharmonie, die Oper und Ballett ein Heim bereitet, so lange das Große Haus saniert wird. Unter dem Hinweis darauf, dass keine Denkverbote bestehen dürfen, sind manche sogar bereit, das unter Denkmalschutz stehende Königin-Katharina-Stift für ihre Vision zu opfern. Mitunter sind das dieselben Leute, die Stuttgart ansonsten – zu Recht – der Geschichtsvergessenheit zeihen.

Natürlich kann die Oper eine Weile raus aus der Innenstadt

Aber reden wir nicht von Moral, sondern bleiben lieber beim Überwinden von Denkverboten und brechen ein Tabu, das manch Kulturschaffender gerne gesetzt hätte: Natürlich kann die Oper auch eine Weile raus aus der Innenstadt! Natürlich können Musiker und Tänzer während der Sanierung ihrer Heimstatt am Eckensee ihre Kunst auch in einem Interimsbau neben dem Mercedes-Museum zeigen!

Sich vor allem von der Sorge leiten zu lassen, dass die Liebhaber von Ballett und Oper keinen Standort außerhalb der Innenstadt akzeptierten, zeugt von einem eigenartigen Misstrauen gegen das eigene Tun. Wichtiger als der Ort, an dem die Bühne steht, ist, was auf der Bühne passiert. Wenn ein Stück gut ist, finden die meisten Zuschauer auch einen Weg, es zu sehen. Dies gilt umso mehr für zwei so herausragende Institutionen wie das Stuttgarter Ballett und die Stuttgarter Oper. Glaubt man den Einlassungen der Intendanten, ist diese Qualität wegen der maroden Technik im Littmann-Bau aber akut gefährdet. Spätestens 2019, so hieß es, müsse das Haus geräumt sein. Bis dahin wird aber Stuttgart 21 nicht fertig sein. Doch ohne den Tiefbahnhof kann das von den Intendanten favorisierte S-21-Gelände im Schlossgarten nicht bebaut werden. Und plötzlich beißt sich die Katze in den Schwanz.

Der Neckarpark kann verkehrlich optimal erschlossen werden

Blicken wir also zum Paketpostamt. Das befindet sich zwar geografisch näher am Zentrum als das Mercedes-Museum, gefühlt liegt es aber an einer der dunkelsten Ecken der Stadt und ist verkehrlich kaum erschließbar. Ganz anders der Neckarpark: Dort gibt es ein Stadion, ein Museum und drei Veranstaltungshallen – Schleyerhalle, Porsche-Arena, Scharrena. Wenn die U 19 regelmäßig bis zum Daimler-Werkstor führe (und das ist ohnehin geplant), hätten die Operngäste eine optimale Anbindung an den Nahverkehr, von der auch alle anderen Besucher des Neckarparks und die Daimler-Mitarbeiter profitierten. Dieser Ausbau wäre also ein Gewinn für viele Menschen.

Am Mercedes-Museum wäre zudem genügend Platz für eine angemessen große Spielstätte – samt einer vernünftigen Gas-tronomie. Und nach Lage der Dinge wäre Daimler wohl auch bereit, in die Finanzierung des Unterfangens einzusteigen, was in Anbetracht allein der Sanierungskosten des Littmann-Baus von mindestens 400 Millionen Euro nicht das schwächste Argument ist. Dies zumal auch das Interim am Mercedes-Museum eine Nachnutzung erfahren könnte – und daher nachhaltig sein dürfte. Man muss es nur wollen.