Reportage: Robin Szuttor (szu)

Pachomius entfachte einen wahren Klosterboom. Zur Mitte des 4. Jahrhunderts tauchten Mönche überall in der Mittelmeerwelt auf: Syrien, Spanien, Italien. Klösterliches Leben wurde zur größten Jugendbewegung der Antike. In einer zunehmend verweltlichten Kirche waren es die Mönche, die gleichsam als Stellvertreter der Gemeinschaft nach Transzendenz strebten.

 

Im 6. Jahrhundert trat der charismatische Benedikt von Nursia in den Weltenlauf, gründete ein Kloster auf dem Monte Cassino. Sein kontemplativer Orden mit Grundpfeilern wie Stetigkeit und Demut sollte 1300 Jahre später noch Bestand haben. An Pfingstsonntag 1863 begann in Beuron das Klosterleben nach der Regel des Heiligen Benedikts. Sie wird bis heute befolgt. Und immer noch gilt: Wer als Mönch lebt, muss sich in einer anderen Welt Zuhause fühlen.


Draußen in der Welt, gegenüber des Klosters, sitzt am späten Vormittag eine Gruppe aus drei Rentnerpärchen in einem Café:  . . . „Fräulein, no zwoi Kännla bitte!“ – Was isch jetzt der Underschied zwischa Priester und Brüder?“ – „Brüder sind die Malocher, die schaffa was. So ähnlich hat’s der Pater erklärt, oder?“ . . . „No oin Epfelkucha bitte!“ – „Also in denne Escada-Schuh lauf i wunderbar dren, wie der Mann im Mond.“ – „Sag amol, was isch denn des für a großes Haus?“ – „Des war früher des Pilgerheim.“ – „Und was isch jetzt dren?“ – „Gar nix, des kannsch kaufa.“ . . . „No oi Johannisbeerschorle bitte!“ – „Wie viele Einwohner hat Beuron überhaupt?“ – „Um die hundert, des isch alles a große Familie, alles Brüder und Schweschdern.“ . . . „Fräulein, zahla!“ – „Am beschda, mir gründa au a Kommune, a Alters-WG.“ – „Dann macha mir Ringelpiez mit Anfassen.“ – „Fraua sind besser dran, weil die immer könna.“ – „Themawechsel, mir sind in Beuron.“ . . . „Auf Wiedersäh“ (im Abgehen): „Mei Schwiegermudder, des war die greeschde Hex, die’s jemols gäbba hat.“ – „Meine war ganz weit weg, Gott sei Dank.“

Es gibt die Klosterstille. Mittags, während der Ruhezeit. Drei Mönche spazieren, jeder für sich, im Garten der Abtei. Andere lesen oder machen spirituelle Übungen auf den Zellen. Die kleinen Mönchszimmer sind mit schmucklosen Schränken möbliert, einige haben Waschbecken mit Warmwasser, manche schon WC und Dusche. Ein kleines Radio, an der Wand Fotos von Freunden, im Regal ein paar Bücher – schlichte Privatheit. Umso glanzvoller sind Kirche und Klausur. Die Sakristei mit ihren Wandgemälden, der wunderschönen Glasmalerei, den schwarz-weißen Bodenfliesen, die an einen florentinischen Palazzo erinnern. Das Refektorium mit dem leuchtenden Fresko der Kreuzigung Christi, der Kanzel, auf der immer ein Bruder aus der Schrift liest, während die anderen schweigend speisen.

Die Mönche arbeiten als Schreiner, Gärtner, Schneider. In der Bäckerei, die auch das benachbarte Hotel beliefert. In der Metzgerei, deren Würste beliebte Souvenirs sind. Andere Brüder sind Verwaltungsexperten, Bibliothekare, Bibelforscher oder kümmern sich um die hunderttausend Menschen, die alljährlich zum Gnadenbild der Schmerzensmutter wallfahren. Nach Arbeit und Abendessen sitzt man eine halbe Stunde zusammen, unterhält sich, macht Brettspiele.

Eitle Dinge wie Geburtstage spielen keine Rolle in der Abtei. Namenstage schon eher, weil sie für den Eintritt in das andere Leben stehen. Der Abt verleiht jedem neuen Mitbruder den Ordensnamen, Wünsche werden nur bedingt berücksichtigt. Wer Namenstag hat, bekommt am Morgen ein Stück Kuchen als Aufmerksamkeit, am Nachmittag darf er mit Verwandten eine Weile im Gästetrakt sein, am Abend wird im Kreise der Brüder mit einem Gläschen Klosterbitter angestoßen. Feste im benediktinischen Sinn sind Eucharistie, Stundengebet und die besonderen Tage des Kirchenjahres – für die Ordensbrüder der wahre Kontrast zum sorgenvollen, mühsamen, langweiligen Alltag.

Bald kamen Schüler. Jeder erhielt ein Leinenhemd, einen Oberwurf aus Schafspelz, Gürtel, Sandalen, einen Stab. Pachomius schärfte den jungen Männern strikte Disziplin ein. Reden durfte man nur über geistliche Dinge oder wenn man aus der Bibel las. Wer etwas brauchte, gab Zeichen. Um der Versuchung vorzubeugen war untersagt, zu zweit auf einem Esel zu sitzen oder einen Dorn aus dem Fuß eines anderen zu ziehen. Ungehorsam folgten Prügel oder Absonderung von der Gemeinschaft. „Viele sah ich dort ein engelsgleiches Leben führen“, heißt es in einer Überlieferung. „Sie sind Himmelsbürger, obgleich sie auf der Welt leben. So sehr haben sie das Interesse an irdischen Dingen aufgegeben.“

Die größte Jugendbewegung der Antike

Pachomius entfachte einen wahren Klosterboom. Zur Mitte des 4. Jahrhunderts tauchten Mönche überall in der Mittelmeerwelt auf: Syrien, Spanien, Italien. Klösterliches Leben wurde zur größten Jugendbewegung der Antike. In einer zunehmend verweltlichten Kirche waren es die Mönche, die gleichsam als Stellvertreter der Gemeinschaft nach Transzendenz strebten.

Im 6. Jahrhundert trat der charismatische Benedikt von Nursia in den Weltenlauf, gründete ein Kloster auf dem Monte Cassino. Sein kontemplativer Orden mit Grundpfeilern wie Stetigkeit und Demut sollte 1300 Jahre später noch Bestand haben. An Pfingstsonntag 1863 begann in Beuron das Klosterleben nach der Regel des Heiligen Benedikts. Sie wird bis heute befolgt. Und immer noch gilt: Wer als Mönch lebt, muss sich in einer anderen Welt Zuhause fühlen.


Draußen in der Welt, gegenüber des Klosters, sitzt am späten Vormittag eine Gruppe aus drei Rentnerpärchen in einem Café:  . . . „Fräulein, no zwoi Kännla bitte!“ – Was isch jetzt der Underschied zwischa Priester und Brüder?“ – „Brüder sind die Malocher, die schaffa was. So ähnlich hat’s der Pater erklärt, oder?“ . . . „No oin Epfelkucha bitte!“ – „Also in denne Escada-Schuh lauf i wunderbar dren, wie der Mann im Mond.“ – „Sag amol, was isch denn des für a großes Haus?“ – „Des war früher des Pilgerheim.“ – „Und was isch jetzt dren?“ – „Gar nix, des kannsch kaufa.“ . . . „No oi Johannisbeerschorle bitte!“ – „Wie viele Einwohner hat Beuron überhaupt?“ – „Um die hundert, des isch alles a große Familie, alles Brüder und Schweschdern.“ . . . „Fräulein, zahla!“ – „Am beschda, mir gründa au a Kommune, a Alters-WG.“ – „Dann macha mir Ringelpiez mit Anfassen.“ – „Fraua sind besser dran, weil die immer könna.“ – „Themawechsel, mir sind in Beuron.“ . . . „Auf Wiedersäh“ (im Abgehen): „Mei Schwiegermudder, des war die greeschde Hex, die’s jemols gäbba hat.“ – „Meine war ganz weit weg, Gott sei Dank.“

Es gibt die Klosterstille. Mittags, während der Ruhezeit. Drei Mönche spazieren, jeder für sich, im Garten der Abtei. Andere lesen oder machen spirituelle Übungen auf den Zellen. Die kleinen Mönchszimmer sind mit schmucklosen Schränken möbliert, einige haben Waschbecken mit Warmwasser, manche schon WC und Dusche. Ein kleines Radio, an der Wand Fotos von Freunden, im Regal ein paar Bücher – schlichte Privatheit. Umso glanzvoller sind Kirche und Klausur. Die Sakristei mit ihren Wandgemälden, der wunderschönen Glasmalerei, den schwarz-weißen Bodenfliesen, die an einen florentinischen Palazzo erinnern. Das Refektorium mit dem leuchtenden Fresko der Kreuzigung Christi, der Kanzel, auf der immer ein Bruder aus der Schrift liest, während die anderen schweigend speisen.

Die Mönche arbeiten als Schreiner, Gärtner, Schneider. In der Bäckerei, die auch das benachbarte Hotel beliefert. In der Metzgerei, deren Würste beliebte Souvenirs sind. Andere Brüder sind Verwaltungsexperten, Bibliothekare, Bibelforscher oder kümmern sich um die hunderttausend Menschen, die alljährlich zum Gnadenbild der Schmerzensmutter wallfahren. Nach Arbeit und Abendessen sitzt man eine halbe Stunde zusammen, unterhält sich, macht Brettspiele.

Eitle Dinge wie Geburtstage spielen keine Rolle in der Abtei. Namenstage schon eher, weil sie für den Eintritt in das andere Leben stehen. Der Abt verleiht jedem neuen Mitbruder den Ordensnamen, Wünsche werden nur bedingt berücksichtigt. Wer Namenstag hat, bekommt am Morgen ein Stück Kuchen als Aufmerksamkeit, am Nachmittag darf er mit Verwandten eine Weile im Gästetrakt sein, am Abend wird im Kreise der Brüder mit einem Gläschen Klosterbitter angestoßen. Feste im benediktinischen Sinn sind Eucharistie, Stundengebet und die besonderen Tage des Kirchenjahres – für die Ordensbrüder der wahre Kontrast zum sorgenvollen, mühsamen, langweiligen Alltag.

Drei Wochen Ferien im Jahr

So fließen die Tage gleichförmig dahin. Mal in ein Konzert oder eine Pizza essen gehen, das gibt es nicht. Wenn die Mönche abends etwas unternehmen, besuchen sie theologische Vorträge im Kloster. Die Abtei verlassen sie selten. Drei Wochen im Jahr dürfen sie Ferien machen. Meist verbringen sie die freien Tage in einem anderen Kloster – in Österreich oder Italien.

Die Abtei bezahlt jedem Mönch, was er braucht – wenn man sich zuvor darüber einig wurde, dass er es braucht. Wer etwa gern joggt, bekommt vom Cellerar Geld für Hose, Leibchen, Laufschuhe – und für die Zugfahrt zum Sportladen nach Tuttlingen. Die Kutten fertigt die Klosterschneiderei selbst, jeder Mönch hat zwei Alltagsgarnituren und einen Festtagshabit.


Draußen in der Welt läuft jetzt in den Haushalten der Fernsehabend an. Auch im TV-Raum des Gästetrakts kann sich der Besucher durch die Kanäle zappen:  . . . „überlegst du, ob du ihm verzeihst, Ute?“ . . . „Ihre Undercoverarbeit muss belastend sein“ . . . „Preissturzwocheeeee“ . . . „fahr ran, ich bin in einer Minute wieder da“ . . . „jeder zweite Deutsche hält die Euro-Einführung für einen Fehler“ . . . „ich bin natürlich super happy“ . . . „eine Bäderlandschaft im Herzen Europas, die es neu zu entdecken gilt“ . . . „5 zu 3, sie hält ihren Service“ . . . „weißt du, die schätzen dich alle ganz falsch ein, du bist ein echt toller Freund“ . . . „richte die Nase auf ihn, zieh, zieh!“ . . . „Bob, die Zeiten haben sich geändert“ . . . „perfekte Verbindung von Make-Up und Pflege“ . . . „erleben Sie die größten Wunder unserer Erde“ . . . „bei Melitta gibt’s jetzt was Neues“ . . . „so haben Sie die Stars noch nie gesehen, vor allem so sympathisch“ . . . „the ultimative urban Car“ . . . „eine normale Hausfrau muss das können“ . . . „Stellung halten, Bereich sichern, ich bring das hier allein zu Ende“ . . . „kennst du eigentlich mein Lieblingswort?“ . . . „dieser Billigmarkt macht einen verdammt guten Eindruck“ . . . „für ein Supermodel ist sie überraschend bodenständig“ . . .

Es gibt die Zimmerstille. Im Gästeflügel, abends vor der Komplet. Zimmer 105 ist dem Heiligen Jakobus gewidmet. Hohe Stuckdecke. Gepolsterter Betschemel. Über dem Schreibtisch ein Kruzifix mit getrocknetem Ölzweig. Bodenlange Stores, wahrscheinlich mit Goldkante. Das stilvolle Ensemble aus Schrank, Bett, Nachttisch ist eine echte Antiquität. Ein Ölgemälde zeigt Bäume. Man muss es lange betrachten, um es zu mögen. Das graue Telefon mit den Knöpfen könnte in den Siebzigern dem sowjetischen KGB gedient haben. „Das ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn“, ist in Goldlettern auf einem Wandteppich zu lesen, „dass einer dem anderen Rast gebe auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause.“

Vor dem Abendgebet versammeln sich die Mönche nach und nach im Kreuzgang, die Kapuzen tief über den Kopf gezogen. Glocken schlagen. Der Abt klatscht in die Hände – Zeichen für den Ostiar am anderen Ende des Gangs, die Kirchentüren zu öffnen. In diesem Moment streifen die Mönche ihre Kapuzen ab, schreiten in Zweierreihen los. Ernste Gesichter, die durch die schwarzen Kutten noch markanter wirken.

Nach der Komplet gehen sie den gleichen Weg zurück. Auf dem Steinboden sind sie und Mönchsgenerationen vor ihnen Tausende Male gegangen, im Lauf der Zeit haben sie ihn förmlich blank poliert. Schließlich verschwinden die Männer in der Klausur. Um 21 Uhr ist Nachtruhe. Dann legt sich die große Stille über die Abtei.