Künftig sollten Bundesbürger neben dem deutschen einen zweiten Pass besitzen dürfen. Dafür kämpft Integrationsministerin Bilkay Öney.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Roland Koch ist seit einigen Monaten Chef des Baukonzerns Bilfinger Berger. Vor seiner Managerkarriere war er elf Jahre lang Ministerpräsident des Landes Hessen und galt in der CDU als starker Mann hinter Angela Merkel. Erinnert sich noch jemand, wie er einst an die Macht gekommen war?

 

Das war 1999. Sein Landtagswahlkampf gilt bis heute als eine der konfrontativsten politischen Kampagnen in der Geschichte der Bundesrepublik. Um konservative Wähler zu mobilisieren, inszenierte Koch einen wahren Feldzug gegen den sogenannten Doppelpass. Dabei ging es um eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Einbürgerungen erleichtern und doppelte Staatsangehörigkeit ermöglichen sollte. Dagegen wandten sich fünf Millionen Bürger in einer Unterschriftenaktion der C-Parteien. Koch gewann die Wahl - und die rot-grüne Bundesregierung verlor ihre Mehrheit in der Länderkammer.

Doppelexistenz nur auf Antrag

Was daraus folgte, ist jetzt Gegenstand einer erneuten politischen Auseinandersetzung um den Status eingebürgerter Ausländer. Rot-Grün sah sich damals zu einem Kompromiss gezwungen: Die generelle Akzeptanz der Doppelstaatsangehörigkeit wurde aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Für in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern entwickelte die Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder das "Optionsmodell": Sie sollten als Deutsche anerkannt werden, aber gleichzeitig die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten können - zumindest bis sie volljährig sind. Bis spätestens zu ihrem 23. Geburtstag müssten sie sich dann entscheiden, welche Staatsangehörigkeit sie beibehalten wollen. Kinder, die schon vor dem Jahr 2000 zur Welt gekommen waren und zu diesem Zeitpunkt höchstens zehn Jahre alt waren, wurde diese rechtliche Doppelexistenz nur auf Antrag gewährt. Nach 2000 wurden alle Neugeborenen automatisch auch Deutsche.

2008 begannen für die "Optionskinder" die Jahre der Entscheidung. Da wurden die ersten volljährig. Nun haben sie bis 2013 Zeit, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden - für den Pass ihrer Eltern oder den Status als vollwertige Bundesbürger. Jedes Jahr sind 3000 bis 7000 junge Menschen vor diese Frage gestellt, von 2018 an werden es jährlich sogar 40.000 sein. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Einbürgerungspraxis erscheint das Optionsverfahren, das jeden Betroffenen zur Entscheidung zwingt, aber wie ein Anachronismus. Denn inzwischen ist der Doppelpass bei neu eingebürgerten Ausländern fast die Regel. Im vergangenen Jahr behielten 53,1 Prozent der Neudeutschen ihre alte Staatsbürgerschaft bei, als sie den deutschen Pass in Empfang nahmen. Das ist zulässig, sofern sie aus einem Land der Europäischen Union kommen oder aus einem Staat, der mit der Bundesrepublik entsprechende Abkommen geschlossen hat. Binnen zehn Jahren wurden auf diese Weise bereits mehr als 600.000 Menschen mit Doppelpass eingebürgert. Mehr als 90 Prozent der EU-Ausländer bewahren sich ihre alte Identität, wenn sie Deutsche werden.

Mehrfaches Wahlrecht und Loyalitätskonflikte

Das Optionsmodell, an dem die Bundesregierung festhalten will, ist "bezüglich seiner Verfassungsmäßigkeit höchst umstritten", so der Frankfurter Völkerrechtler Rainer Hofmann bei einer Anhörung des Bundestags. Die Gießener Verfassungsjuristin Astrid Wallrabenstein urteilt, den Optionszwang abzuschaffen sei "nicht nur rechtspolitisch wünschenswert, sondern auch verfassungsrechtlich geboten". Allerdings stößt auch das Prinzip der Mehrstaatlichkeit auf massive Bedenken. So verfügen Personen mit Doppelpass über ein mehrfaches Wahlrecht, sie unterliegen unter Umständen in verschiedenen Staaten der Wehrpflicht und riskieren Loyalitätskonflikte. Komplikationen könnten sich auch im Bereich des Privatrechts ergeben, etwa bei grenzüberschreitenden Geschäften oder Verträgen.

Das Optionsmodell müsse "sowohl in verfahrens- als auch in materiellrechtlicher Hinsicht überprüft" werden, hatten Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag 2009 vereinbart. Bis jetzt ist in dieser Angelegenheit nichts passiert. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), räumt aber ein, es seien "erste Fragen sowohl in praktischer als auch in rechtlicher Hinsicht aufgetaucht". Es gebe "größere (vor allem personelle) Schwierigkeiten". Der Aufwand für das Optionsverfahren sei "mindestens so groß wie für ein vollständiges Einbürgerungsverfahren".