Sport: Carlos Ubina (cu)
Skandinavier an sich gelten auch als offene Menschen. Trifft das ebenso auf taktische Neuerungen zu?
Bisher sind mir alle Spieler mit Offenheit begegnet, auch beim VfB. Die Frage ist nur, wo diese Bereitschaft etwas Neues zu probieren endet. Das hat erstens mit dem Verständnis für das Ganze zu tun, zweitens mit dem Willen, es tatsächlich umzusetzen, und drittens stellt sich ein Spieler immer die Frage: Was bringt mir das Ganze?
Welche Antwort können Sie darauf geben?
Ich muss einem Stürmer schon klarmachen, warum wir hohes Pressing spielen. Nämlich, um es nach der Balleroberung nicht 70 Meter bis zum gegnerischen Tor zu haben, sondern nur 35 – wenn wir es gut machen. In diesem Bereich unterscheiden sich dänische Spieler nicht von deutschen.
Wo liegt dann der größte Unterschied zu Ihrer Zeit in Stuttgart?
Ich glaube, dass in Stuttgart die meisten Leute zunächst auch positiv überrascht waren von dem Fußball, den wir beim VfB plötzlich gespielt haben. Im Gegensatz zu jetzt haben sich aber nicht die passenden Ergebnisse eingestellt.
Für ihr Wirken beim VfB hat Sie nun mit einiger Verzögerung der frühere Schalke- und VfB-Manager Horst Heldt in sehr scharfer Form öffentlich kritisiert.
Horst Heldt hat sich bei mir gemeldet und sich für seine Aussagen im vollen Umfang entschuldigt. Damit ist das Thema für mich abgeschlossen.
So einfach ist das?
Ja – und jetzt nehmen Sie Bröndby statt Stuttgart. Das ist ein klassisches Arbeiterviertel in Kopenhagen. Und wenn man da diesen leidenschaftlichen Fußball mit ständigen Aktionen und permanenten Zweikämpfen spielt, dann liegt man auf einer Wellenlänge mit den Leuten. Ich habe hier schon nach kurzer Zeit das Gefühl, dass dieser Fußball perfekt zu Bröndby passt.
Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Sie in Kopenhagen wieder eine Fußballrevolution angezettelt haben?
Nein, da dieser Fußball ja nichts Neues ist. Wichtig ist bei dieser Art des Fußballs ohnehin, dass der Funke überspringt – auf die Spieler, auf die Zuschauer, auf den Verein. Tut er das nicht, weil wie in Stuttgart die Ergebnisse nicht stimmen, dann wird diese Art des Fußballs schnell ganz anders wahrgenommen: Plötzlich ist es Harakiri.
Was bedeutet das für Sie als Trainer?
Dass es nicht darum geht, ob es sich um eine Revolution oder Evolution handelt, da ich nicht mit dem Anspruch antrete, irgendwann in Fußballlehrbüchern genannt zu werden. Vielmehr geht es darum, als Trainer alles zu geben und aus der Mannschaft möglichst alles herauszuholen.
Steht demnach heute ein anderer Trainer Alexander Zorniger an der Seitenlinie als derjenige, der vergangenen Herbst den VfB und die Bundesligabühne verlassen hat?
Ja, das halbe Jahr in Stuttgart hat mich verändert. Jedoch weniger im Bereich, welchen Fußball ich spielen lassen will. Vielmehr in der Erkenntnis, dass es viele Einflussfaktoren gibt, die nichts mit der eigentlichen Trainingsarbeit zu tun haben.
Was meinen Sie konkret?
Zum Beispiel ging es in Stuttgart oft darum, wann ich wie etwas über einen Spieler gesagt habe, und nicht, ob es sachlich richtig war. Zum Beispiel hatte ich es vorher nicht erlebt, dass ich auf die Umstände im Verein und die Befindlichkeiten einzelner Spieler so große Rücksicht nehmen musste. Zum Beispiel kam es nicht gut an, dass ich deutlich kritische Punkte angesprochen habe, ohne den entsprechenden Hintergrund mit Erfolgen vorweisen zu können.
Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Einige, aber die wichtigste ist, zu überblicken, wann Du welche Baustellen aufreißen kannst. Oder anders herum: So lange Du nicht erfolgreich bist, solltest Du dir gut überlegen, wie viele Baustellen Du dir überhaupt leisten kannst.