Für Bosse und Nunes spricht obendrein auch, dass ihnen Stuttgart nicht völlig fremd vorkommen würde . . .
Okay, Sie spielen auf das Interview an, das in Stuttgart einigen Wirbel gemacht hat. Ich habe da gesagt, die Stadt ist mir sehr fremd – und dazu stehe ich nach wie vor. Aber Fremdheit hat für mich keinen negativen Beigeschmack. Fremdheit regt doch die Sinne an, Fremdheit ist der Auslöser für Interesse und Neugier. Und das wiederum sind die wichtigsten Eigenschaften des Menschen überhaupt und des Theatermenschen sowieso. Fremdheit sorgt also für Spannung – und Spannung ist der beste Garant, dass die Bühne nicht das tut, was sie grundsätzlich nie tun darf: langweilen. Langweiliges Theater ist das einzige Theater, das ich ablehne.

In Berlin setzen Sie, wie es scheint, dieses Kredo erfolgreich in die Tat um. Langweilig wird’s dem Besucher im Gorki nicht  . . .
Wenn Sie das so sehen, freut es mich. Und ich werde in Berlin ja auch noch immer auf meinen Abschied angesprochen. Es gibt schon einige Leute, die meinen Weggang bedauern, aber das sollte man letztlich nicht zu hoch hängen. Berlin ist eine sehr impulsive und wilde Stadt, die sich jeden Tag mit neuen Problemen rumschlagen muss, da bleibt nicht viel Zeit für so etwas wie Trauer. Zudem gab es zwischen mir und den politisch Verantwortlichen einfach auch Abnutzungserscheinungen, die es mir leichter gemacht haben, mich nach anderen Theatern umzuschauen.

Und warum blieb Ihr Blick ausgerechnet in Stuttgart hängen?
Dass hier die Logistik, also das ganze Arbeitsumfeld stimmt, habe ich ja schon gesagt. Aber es stimmen eben nicht nur die organisatorischen, sondern auch die personellen Strukturen . . .

Sie meinen das Stuttgarter Modell mit vier gleichberechtigten Intendanten . . . 
Ja, diese Viererbande hat in der Vergangenheit tolle Arbeit geleistet. Und diese Arbeit fortzusetzen ist ein enormer Ansporn für mich, vor allem in Zusammenarbeit mit dem Opernintendanten Jossi Wieler, der ein künstlerisches Vorbild für mich ist. Mit ihm würde ich gerne einige spartenübergreifende Projekte vorantreiben.

Berlin, sagen Sie, ist eine wilde Stadt. Stuttgart hat auch wilde zwei Jahre hinter sich. Hat die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 Ihre Entscheidung beeinflusst?
Ausschlaggebend war der Bahnhofskonflikt nicht, aber eine Rolle hat er bei meiner Entscheidung für Stuttgart schon gespielt. Ich finde es hochinteressant, dass so eine große Protestbewegung aus der Mitte der Gesellschaft, aus dem Herzen des Bürgertums kommt. Das scheint mir fast einzigartig zu sein. Und natürlich wird dieser bürgerliche Protest dann auch zu jenem Humus gehören, auf dem unser Theater in Stuttgart gedeihen soll.