Die britische Schriftstellerin Zadie Smith, deren neuer Roman „London NW“ jetzt auf Deutsch vorliegt, blickt mit Selbstbewusstsein in die Welt: Nicht Schwarzsein sei schlimm, sondern Armsein.

Stuttgart – - Sie wirft einen letzten Blick auf Stapel halb fertig gepackter Kartons und sagt: „Gehen wir!“ Zadie Smith zieht gerade um. Zwar nur von einem Stockwerk ins untere, aber ein Pause tut not. Das Café liegt unweit des potthässlichen Dozentenwohnheims in Manhattans West Village, wo die gebürtige Londonerin mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt, seit sie an der New York University Literatur unterrichtet. Bei einem Latte macchiato entspannt sie sich. Den Wunderkindschuhen ist die 38-jährige Autorin entwachsen. Die Frische, den Grips und die Originalität, die ihr Debüt „Zähne zeigen“ 2000 zum Weltbestseller und sie selber zum Star machten, hat sie sich bewahrt. Das zeigt sich im Gespräch ebenso wie in ihrem neuen Roman „London NW“.
Frau Smith, haben Sie vor, zur Bardin Nordwest-Londons zu werden?
Bloß nicht! Es ist einfach so, dass sich diese Gegend gut als literarisches Pflaster eignet.
So gut, dass Sie drei Ihrer bisher vier Romane dort angesiedelt und Ihren neuen „London NW“ sogar danach benannt haben.
Das Viertel, besonders Willesden, spiegelt im Kleinen, was sich in vielen Großstädten Europas und Nordamerikas abspielt: Immigration, Gentrifizierung, das Platzen der Dot-Com- und Immobilienblasen, das Aufeinandertreffen verschiedener Gesellschaftsschichten, Ethnien und Weltanschauungen.
„London NW“ handelt von Leah und Natalie, zwei Freundinnen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und Herkünften. Haben Sie sich mit Ihrem Ruf als Multikultiexpertin angefreundet?
Nach meinem Debüt „Zähne zeigen“ ging mir das Etikett tatsächlich auf die Nerven. Ich dachte: Ich weiß über dieses Thema auch nicht besser Bescheid als jeder andere. Aber jetzt finde ich: doch, ich weiß. Immerhin bin ich in Willesden aufgewachsen. Im Gegensatz zu Politikern, die sich über derlei verbreiten, weiß ich, wie es sich anfühlt, in der Arbeiterschicht groß zu werden. Ich weiß, wie es ist, wenn sich die Freunde die Wohnung oder das bescheidene Haus ihrer Eltern nicht mehr leisten können. Ich weiß auch, was es heißt, in den Kreisen der Gebildeten und Arrivierten als Quotenschwarze herhalten zu müssen.
Ist das ein Grund, weshalb sie in „London NW“ alle weißen Figuren als solche identifizieren und die Hautfarbe der übrigen unerwähnt lassen?
Ja. Weiße Menschen sind nicht das Maß aller Dinge. Aber sie halten sich dafür. Dabei befinden sie sich global gesehen in der Minderheit. Ihre Sorgen, ihre Fernsehserien, ihre Zeitungen spielen im Alltag der Mehrheit auf diesem Planeten definitiv keine Rolle. Ich selber bin im Bewusstsein aufgewachsen, eben nicht das Zentrum der Welt zu sein. Trotzdem ärgert es mich, ständig durch dieselbe Brille angeschaut zu werden. Es passiert immer wieder, dass ich mich auf einer Party mit jemandem unterhalte, der dann in einem entsprechenden Zusammenhang sagt: Ja, aber du bist ja nicht wirklich schwarz. Nur weil ich hellere Haut und eine schmalere Nase habe als meine Brüder, und als sei mein Schwarzsein deshalb nicht ganz so schlimm! Schwarzsein ist nicht schlimm. Armsein ist schlimm. Und Klassenunterschiede sind nun mal untrennbar mit Rassenunterschieden verknüpft.