Nach dem Papst-Rücktritt: Der Bischof der Diözese Rottenburg, Gebhard Fürst, verlangt Reformen in der Frauenfrage und im Umgang mit Geschiedenen.

Stuttgart – Auch Bischof Gebhard Fürst war vom Rücktritt des Papstes zutiefst betroffen. Im Interview bekräftigt er, dass die katholische Kirche einen Kurs der „Erneuerung“ weiterführen müsse.
Herr Bischof Fürst, was haben Sie gefühlt, als Sie die Nachricht vom Rücktritt hörten?
Zunächst war es für mich eine ungeheure Überraschung, ja Fassungslosigkeit. Mit dem Rücktritt hatte niemand gerechnet. Ich hatte schnell Zugriff auf die Rede von Papst Benedikt, die er vor dem Konsistorium gehalten hat, und beim Lesen ist meine große Betroffenheit rasch dem Respekt vor dieser souveränen Haltung gewichen. Benedikt hat gespürt, dass die hohe Last und Verantwortung des Amtes von ihm nicht mehr so getragen werden kann, wie es notwendig wäre.

Wie geht es weiter? Benedikt galt als ein Papst des Übergangs. An welchem Punkt steht die Katholische Kirche heute?
Es kommt darauf an, auf welchen Fokus man seine Aufmerksamkeit richtet, wenn man auf die Kirche schaut. Ich war 14 Tage in Vietnam und habe dort eine katholische Kirche in großer Bedrängnis erlebt, die aber sehr lebendig und aufstrebend ist, voller Kraft und Enthusiasmus. Wenn ich in unsere Gesellschaft blicke, nach Deutschland, dann sehe ich auch eine katholische Kirche in Bedrängnis. Aber wir sind in einer Erneuerungsphase, die da und dort stockt, die aber durchgehalten werden muss und bei der ich das Vertrauen habe, dass wir in eine Zukunft unserer Kirche gehen, die uns nicht mit Angst erfüllen muss.

Was wünschen Sie sich vom Nachfolger?
Eine Antwort hierauf ist natürlich immer auf eine bestimmte Perspektive bezogen. Im Hinblick auf Deutschland wünsche ich mir, dass die katholische Kirche in Deutschland in ihrer großen Bedeutung für die Weltkirche erkannt wird. Da ist ihre große theologische Kompetenz, und da sind die pastoralen Konzeptionen, die wir teilweise schon auf den Weg gebracht haben und die richtungsweisend sein können für die Zukunft in einer säkularen und pluralen Gesellschaft. Eine Differenzierung zwischen kirchlichen Situationen auf den Kontinenten – die wünsche ich mir vom Vatikan.

Alle Welt spricht nun vom Reformbedarf der Kirche. Wo muss gehandelt werden?
Wir müssen die Öffentlichkeit stärker wahrnehmen, wir müssen erkennen, welche Bedeutung sie für uns hat, und wir sollten uns offensiver in sie hineintrauen. Das meine ich nicht allein gesellschaftspolitisch, sondern vor allem hinsichtlich der Bedeutung, die die Öffentlichkeit für den Weg der Kirche hat. Ich sage das auch als Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Bischofskonferenz. Wir müssen unsere Stärken benennen, etwa im sozialen Bereich. Wir tun einen großen Dienst an der Gesellschaft – der wird zu wenig wahrgenommen. Das gilt auch für den kulturellen Bereich, für unsere Bildungseinrichtungen, die eine große integrative Kraft haben.

Sehen Sie auch einen grundlegenden Reformbedarf in der Kirche?
Ich meine, dass wir auch in schwierigen Situationen innerhalb der Kirche Antworten finden müssen. Das erwartet auch die Gesellschaft von uns. Die katholische Kirche muss für die wiederverheirateten Geschiedenen meiner Ansicht nach einen barmherzigeren Umgang finden. Wir müssen in der Frage der Ökumene Schritte tun, und wir müssen das Thema Frauen in der Kirche offensiver angehen. Es gibt bei mir in der Diözese viele Frauen in Führungspositionen, ich möchte das weiter fördern. Dabei weiß ich, dass es da von der Weltkirche her Grenzen gibt, etwa beim Diakonat der Frau. Da können wir im Augenblick nichts tun. Aber dass wir Frauen stärker Mitverantwortung übertragen, etwa als Gemeinde- und Pastoralreferentinnen, das müssen wir angehen.

Bei den Zugeständnissen an die Piusbrüder hat sich der Papst offenbar verrannt. Wie kommt die Kirche aus dieser Falle heraus?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Es war eine große Geste des Papstes, auf die Piusbrüder insoweit zuzugehen, als er sie in den Raum der kirchlichen Gemeinschaft zurückgerufen hat. Aber diese Geste ist von den Piusbrüdern weder verstanden noch gewürdigt worden, sie ist in keiner Weise beantwortet worden. Deshalb ist die große Geste des Papstes vermutlich gescheitert.

Mit Papst Benedikt hatten die deutschen Protestanten jemand, mit dem sie über Ökumene auf Augenhöhe sprechen konnten. Wird das beim Nachfolger so bleiben?
Das wünsche ich mir natürlich. Der Papst ist von guten Ratgebern umgeben. Ein Papst aus Afrika, Asien oder Lateinamerika würde sich diese notwendige Sensibilität ein Stück weit borgen müssen. Das ist unabdingbar. Wir haben in Deutschland die spezielle Situation der katholischen und evangelischen Kirche, die beide gleich groß und in einer gesellschaftlich nicht einfachen Situation stehen. Da müssen wir zusammenhalten und, wo es geht, zusammenfinden. Dass das von Rom unterstützt wird, das wünsche ich mir.