Gab es Gegenstände aus dem Haus Ihrer Eltern, die Sie unbedingt behalten wollten?
Ich weiß noch genau, wie ich an einem Vormittag mit meinen Schwestern das Zimmer meiner Mutter ausräumte. Darin stand eine bemalte Vase mit Goldrand. Eigentlich finde ich solche Vasen furchtbar, aber plötzlich wollte ich diese Vase unbedingt haben, weil ich mit ihr viele Erinnerungen verband. Dann entdeckten meine Schwestern die Vase auch und wollten sie für sich.
Wie haben Sie sich geeinigt?
Wir waren alle aufgewühlt, die Nerven lagen blank. Ich dachte, dass es jetzt zum Streit kommt. Glücklicherweise konnten wir uns dann doch noch einigen. Eine Schwester bekam ein Lieblingsbuch meiner Mutter, die andere eine Geburtstagskerze, die ihr viel bedeutete.
Ich könnte mir vorstellen, dass es in manchen Familien weit weniger harmonisch zugeht, wenn die Eltern sterben.
Unter Geschwistern kommt es oft zu Spannungen. Einer meiner Leser hat mir zudem erzählt, dass wenige Tage nach dem Tod eines Elternteils ein herumliegender Geldbeutel von der Schwägerin ausgeräumt wurde. Wenn Menschen ins Spiel kommen, die nicht blutsverwandt sind, und dennoch am Erbe teilhaben wollen, kommt es oft zu schwersten Verletzungen.
Sie schreiben, dass viele beim Ausräumen der elterlichen Wohnungen ihre Mütter und Väter noch einmal neu kennen lernen.
Ich habe mit meiner Schwester ein altes Haushaltsbuch meines Vaters gefunden. Darin hatte er alle seine Ausgaben penibel aufgelistet: „Bleistift gekauft, vier Schilling ausgegeben.“ Mein Vater ist ja in Österreich aufgewachsen. Wir wussten vorher schon, dass er als Kind nicht viel Geld hatte, aber als wir das Buch durchgeblättert haben, hat es uns noch einmal anders berührt.
Wenn Nachfahren Briefe, Tagebücher oder Dokumente ihrer Eltern finden – dürfen sie Ihrer Meinung nach einfach so darin lesen?
Diese Frage habe ich bis heute für mich nicht abschließend geklärt. Ich glaube schon, dass auch Tote eine Intimsphäre besitzen. Als ich die Tagebücher meines Vaters sah, empfand ich zunächst große Scheu, darin zu lesen. Meine Schwestern hatten weniger Berührungsängste als ich. Wir haben auch private Briefe von ihm gefunden, die er in einem Ordner abgeheftet hatte. Die habe ich bis heute nicht gelesen.