Kultur: Stefan Kister (kir)
Wo haben Sie für Ihren Rotlichtroman „Im Stein“ recherchiert?
Ich habe über einen Zeitraum von etlichen Jahren alles gesammelt und gelesen, was es zu dem Thema gibt: Biografien von Huren, aber auch wirtschaftliche Darstellungen, „das Kapital“ von Marx, betriebswirtschaftliche Arbeiten, auch Mythologisches.
Im Kapitel „Kolumbusfalter“ spiegeln Sie die grauenvolle Geschichte einer minderjährigen Zwangsprostituierten in Donald-Duck-Versatzstücken.
Die Recherche im Leben allein reicht nicht aus, es sind gerade Brechungsprozesse, die „Im Stein“ über eine Halbweltschwarte oder einen dokumentarischen Roman herausführen. Teile des Buchs haben durchaus dokumentarischen Charakter, wenn eine junge Frau auf dem Kongress der Huren eine Rede hält. Aber dazwischen kommen immer wieder Traumsequenzen, surrealistische Einsprengsel, ein permanenter Wechsel von Stimmen und Stimmlagen.
Sie erzählen in dem Roman ja keine Geschichte. Das Ganze ist ein gewaltiger Echoraum, in dem Sex, Kapitalismus und die Träume von einem besseren Leben durcheinanderklingen. Wie repräsentativ ist dieser Lebensraum für die Gesellschaft überhaupt?
Echoraum ist ein gutes Bild. Da gibt es Stimmen, die wiederkehren, andere verschwinden, Lebensläufe, Thrillerelemente, die im Sand verlaufen, dazwischen die Huren, Fragmente und Teilchen unserer Zeit. Die Wirtschaftskrise kommt am Rande vor. Eine alte Hure, abgebrüht und verhärmt durch ihren Beruf, will sich zur Ruhe setzen und erinnert sich, dass ihre ganzen Fonds geplatzt sind: „Wer hätte denn ahnen können, dass ganz Europa verblutet.“ Das ist ganz im Heute und im Jetzt. Sogar die Griechen kommen vor. Da taucht viel auf aus unserem Leben in den letzten zwanzig Jahren, unserer Zeit.
Die unternehmerische Maxime im Gewerbe lautet: „Gebumst wird immer“. Stimmt das? Sie erzählen ja auch eine Verfallsgeschichte, freilich jenseits aller Nostalgie.
Das Internet zerstört die Geschäfte, man kann sich mittlerweile in Sexforen treffen, früher gab es das nicht. Ausländische Syndikate fallen ein, die Hells Angels, es gibt feindliche Übernahmen. Das spiegelt den kompletten Wandel der Wirtschaft an sich wider, die Krise und das Chaos, das derzeit in Europa und der Welt herrscht. Der Thron meines Rotlichtkönigs Arnold Kraushaar wankt beträchtlich, er muss immer wieder Deals eingehen, Pakte schmieden, am Ende verschwindet er, er löst sich und die Geschlechterfrage im Transsexuellen auf.
Sie wurden wegen Ihres Romans von der Zeitschrift „Emma“ zum Pascha des Monats ernannt. In Ihrem Buch finden sich entsetzliche Szenen. Was halten Sie von den Vorstößen, Prostitution zu verbieten?
Die Debatte begann so richtig im Jahr 2013. Da lief das durch alle Talkshows. Ich habe mich immer gewundert, warum ich da nie eingeladen wurde.
Vermutlich ist Günter Jauch an Ihrem Buch gescheitert.
Die „Emma“-Redakteurinnen jedenfalls haben den Roman nicht richtig gelesen, denn darin wird nichts verklärt. Man kann einfach nicht alles über denselben Kamm scheren. Ich habe so viele Menschen getroffen mit unterschiedlichsten Biografien. Zu meinen Lesungen kamen immer wieder auch aktive oder ehemalige Sexarbeiterinnen. Viele sagten mir, sich in meinem Buch wiedergefunden zu haben. Da sind Frauen darunter, die sagen: Ich mach das aus welchen Gründen auch immer, und ich lass mir das von niemandem vorschreiben.
Das Problem ist doch die Zwangsprostitution.
Es ist immer schwer, genau zu sagen, wo Ausbeutung beginnt. Natürlich gibt es Zwangsprostitution, jeder einzelne Fall ist schlimm, aber es ist nicht dieses Massenphänomen, als welches es durch die Debatte geistert. Dagegen gibt es bereits Gesetze. Ein Teil des Exodus von Frauen aus Osteuropa hat vor allem mit Armutsprostitution zu tun. Da bringt es nichts, hier die Gesetze zu ändern, man muss die Verhältnisse vor Ort ändern. Man muss alles tun, um die Frauen zu schützen, aber man darf sie auch nicht entmündigen.