An diesem Donnerstag beginnt im Stuttgarter Literaturhaus eine dem Autor Clemens Meyer gewidmete Reihe. Sie endet am Samstag mit der Dramatisierung seines Rotlicht-Romans „Im Stein“ am Schauspiel. Ein Gespräch über das große Welttheater im Milieu.

Kultur: Stefan Kister (kir)
Stuttgart – - Clemens Meyer ist der Beweis, dass die deutsche Gegenwartsliteratur nicht nur das Produkt schreibender Arzt- und Lehrerkinder ist. Der Leipziger aus Überzeugung hat sich hochgearbeitet und sein erstes Geld auf dem Bau verdient. Aber nicht wegen dieser Herkunftsfolklore zählt er zu den interessantesten Erscheinungen des Literaturbetriebs, sondern vor allem wegen seiner zwei großen Romane. Sein mit dem Leipziger Buchpreis prämierter Erstling „Als wir träumten“ ist vor Kurzem in der Verfilmung von Andreas Dresen in die Kinos gekommen. Am Samstag bringt nun der Regisseur Sebastian Hartmann sein für den Deutschen Buchpreis 2013 nominiertes Rotlichtepos „Im Stein“ auf die Bühne des Stuttgarter Schauspiels. Der Autor sieht der Inszenierung gelassen entgegen.
Herr Meyer, der deutschen Gegenwartsliteratur wird immer wieder vorgehalten, sie sei zu brav und konformistisch. Stimmt das?
So pauschal kann man das nicht sagen. Was ich aber doch hin und wieder vermisse, ist der Mut. Bei vielen jungen Autoren hat man das Gefühl, dass sie sich an einer geradlinigen Erzählstruktur orientieren und auch thematisch am liebsten vor der eigenen Haustüre kehren. In meinen Augen fehlt da das Wagnis, das Abenteuerliche, der Ehrgeiz, etwas zu machen, was es vielleicht noch nicht gegeben hat.
Aber vor der eigenen Haustüre kehren Sie doch auch, nur dass sich da Jugendbanden und Huren tummeln. Was zieht Sie in diese gesellschaftlichen Randzonen?
Für mich sind das gar keine besonderen Sphären, sondern eher Normalitäten. Alles, was sich in der Gesellschaft darbietet, kann zum Stoff werden. Das Rotlichtmilieu taugt genauso als Brennspiegel der großen Fragen des Lebens wie ein Intellektuellenzirkel. Bei mir können Nachtclubbesitzer das „Kapital“ von Marx lesen oder über Schillers „Wallenstein“ debattieren. Es ist mir zu einfach, das nur als eine gefallene Welt zu betrachten, betroffen und voller Sozialmitleid. In der Kunst herrscht Gleichheit, ein Ort ist so gut wie der andere. Allerdings sind Bereiche, in denen Brüche vorherrschen statt geradliniger Entwicklungen, ästhetisch einfach ergiebiger.
Ihre Körpertätowierungen sind Legende, und zu den Geschichten, die man sich über Sie erzählt, gehört, dass Sie ihr Studium am Leipziger Literaturinstitut nicht rechtzeitig antreten konnten, weil sie wegen Autodiebstahls inhaftiert waren.
Was so nicht stimmt. Das stand einmal irgendwo und wird seitdem immer wieder abgeschrieben.
Sie waren nie im Jugendknast?
Schon. Einige Wochen, aber nicht wegen Autodiebstahl.
Sie schreiben ja keine leicht und lüstern konsumierbare Halbweltschwarten, sondern literarisch hochverdichtete Großwerke. Trotzdem ordnet man Sie gerne in den Typenkatalog des schmuddligen Genies ein.
Ich ertrage das mit Gelassenheit. Ich definiere mich nicht darüber, ständig in der Kneipe zu sitzen oder biertrinkend durch die Fußballstadien zu ziehen. Gegen die Vereinnahmungen anzugehen bringt nichts. Auf Wikipedia habe ich gelesen, ich würde mein Image vermarkten. Keine Ahnung, wer so etwas da reinschreibt. Ich sitze in Leipzig die meiste Zeit in meinem Arbeitszimmer, mein Leben gehört der Literatur und meinen Büchern.
Das Münchner Literaturfests, das Sie im letzten Jahr kuratiert haben, stand unter dem Motto: „In Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod“. Wie sehr muss man sich dem aussetzen, über was man schreibt?
Man muss in die Materie und die Abgründe eindringen, aber gleichzeitig auch die Distanz wahren, aufpassen, dass man nicht abstürzt. Sich aussetzen heißt aber auch, dass man sich an den Figuren abarbeitet, die man aus Fragmenten der Realität oft über viele Jahre hinweg geschaffen hat.