Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)
Als Konsequenz wird über eine bessere Spionageabwehr diskutiert. Ist das sinnvoll?
Es wäre sicherlich ein wichtiger Schritt, wenn unsere Nachrichtendienste den Wechsel zur viel beschworenen „360-Grad-Perspektive“ ernsthaft verfolgen würden: Nicht nur russische und chinesische, sondern auch britische und amerikanische Geheimdienstaktivitäten müssten in den Blick genommen werden. Davon sind die deutschen Dienste aber offenbar weit entfernt; zu eng sind die Kooperationsbeziehungen und zu groß ist ihre Abhängigkeit von Erkenntnissen insbesondere der US-Dienste. Ich hielte es keinesfalls für eine gute Idee, wenn der BND und der Verfassungsschutz die Überwachung der Telekommunikation und des Internets ausbauen und ein vergleichbares Überwachungssystem installieren würden, wie wir es von der NSA kennen. Damit würde man letztlich die Kritik an der Praxis der britischen und amerikanischen Geheimdienste diskreditieren. Zudem widerspricht die anlasslose Massenüberwachung dem Wortlaut und dem Geist des Grundgesetzes.
Welche Alternativen schlagen Sie vor?
Wir brauchen weniger und nicht mehr Überwachung – und endlich wirksamere Kontrollen der Geheimdienste. Nur wenn sich bei den Entscheidungsträgern die Einsicht durchsetzt, bei der Überwachung abzurüsten, kann der Ausstieg aus der Überwachungsspirale gelingen.
In Deutschland und den USA gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen von Datenschutz. Wie passen die zusammen?
Sicherlich wird es auch in Zukunft keine identischen Datenschutzsysteme beiderseits des Atlantiks geben. Trotzdem möchte ich daran erinnern, dass die Prinzipien des modernen Datenschutzrechts – gerade auch der Schutz der Privatsphäre gegenüber dem Staat – wesentlich in den USA entwickelt wurden. Die weltweite Überwachungspraxis steht in eklatantem Widerspruch zu diesen Prinzipien. Die Zügelung der Überwachungsaktivitäten kann nur gelingen, wenn die US-Regierung versteht, dass es im eigenen Interesse liegt, auch die Daten von Nicht-Amerikanern zu schützen. Auch deshalb sind klarere Reaktionen aus Europa so wichtig.
Der Bund will Ihrer Nachfolgerin als Datenschutzbeauftragte mehr Unabhängigkeit einräumen. Was wäre noch zu verbessern?
Die Stärkung der Unabhängigkeit der Bundesdatenschutzbeauftragten ist seit Jahren überfällig. Es ist ein schwaches Bild, dass die Regierung erst jetzt handelt, nachdem die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat. Dabei ist darauf zu achten, dass die Datenschutzbehörde personell und finanziell aufgestockt wird. Die zusätzlichen Aufgaben – etwa die Personalverwaltung und das Haushaltswesen – können nicht zum Nulltarif erledigt werden. Ohne entsprechende Verbesserungen ist zu befürchten, dass der Datenschutz im Ergebnis geschwächt würde. Außerdem dürfen der Beauftragten nicht länger die Instrumente vorenthalten werden, mit denen sie die Datenschutzanforderungen bei den ihrer Kontrolle unterstellten Unternehmen durchsetzen kann. Wie bereits die Landesdatenschutzbeauftragten muss auch die Bundesbeauftragte wirksame Sanktionen bei Datenschutzverstößen verhängen können.
Warum regen sich die Leute über NSA & Co auf, nehmen aber einfach hin, was Google & Co ihnen zumuten?
Ein zentrales Problem besteht darin, dass sich die meisten Internet-Nutzer daran gewöhnt haben, praktisch sämtliche Leistungen umsonst zu bekommen. Sie blenden dabei bewusst oder unbewusst aus, dass alles im Leben seinen Preis hat – der Preis für die kostenlosen Internet-Dienste ist die massenhafte Datensammlung. Unternehmen machen aus den persönlichen Daten Gold, indem sie die Nutzerprofile für zielgerichtete Werbung verwenden. Schon jetzt werden diese Daten aber dafür verwendet, uns auf Schritt und Tritt zu bewerten, und wir werden verstärkt damit konfrontiert, dass diese Erkenntnisse für alle möglichen Zwecke verwendet werden – auch gegen unsere Interessen. Denken Sie etwa an die Kreditvergabe oder an die Versicherung. Wenn wir nicht aufpassen, wird die Datensammlung massiv in unser Leben eingreifen – nicht nur im positiven Sinne.
Sind sichere Kommunikation und Privatheit im 21. Jahrhundert ohnehin Chimären?
Vor fünfzig Jahren hat sich kaum jemand vorstellen können, dass man Energie in großem Maßstab sauber produzieren kann und dass sich der Ressourceneinsatz für die industrielle Produktion deutlich reduzieren lässt. Warum soll ein solcher Wechsel nicht auch bei dem Weg in die Informationsgesellschaft möglich sein? Wer weiß, vielleicht haben wir in fünfzig Jahren sogar deutlich mehr Privatsphäre als heute.