Wie sehen Sie die Situation der vielen syrischen Binnenflüchtlinge und der Menschen, die außer Landes geflohen sind?
Wer über die Grenze geflüchtet ist, kann zumindest nicht mehr unter Beschuss genommen werden. Aber auch die Situation in manchen Flüchtlingscamps ist schwierig, zum Beispiel im Libanon. Der Staat hat wenig Möglichkeiten, um Unterstützung zu leisten. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihre Anstrengungen erhöhen und nicht auf Hilferufe aus den syrischen Nachbarländern warten. Was in diesen Ländern passiert, wird aber wenigstens wahrgenommen. Für die humanitäre Katastrophe, die sich innerhalb Syriens abspielt, interessiert sich kaum jemand. Dort sind mittlerweile mehrere Millionen Menschen auf der Flucht. Sie irren umher, müssen auf Straßen und Autobahnen übernachten. Städte, in denen nicht gekämpft wird, sind total überfüllt. Es werden Schulen zu Flüchtlingslagern und Krankenstationen umfunktioniert, es mangelt an Nahrungsmitteln und Medikamenten.

Die Opposition gilt als heillos zerstrittener Haufen, besonders die Positionen zwischen Exilsyrern und Oppositionellen im Inland könnten gegensätzlicher kaum sein. Wie soll ein Regimewechsel funktionieren, wenn die Gegner nicht mit einer Stimme sprechen?
Hinsichtlich des Ziels sind sich alle Oppositionsgruppen einig: Es geht für alle darum, einen Regimewechsel herbeizuführen. Dass dies mit diplomatischen Mitteln erreicht werden kann, glaubt auch keiner mehr. Die Freie Syrische Armee ist als legitimer Teil der syrischen Revolution von allen Gruppen anerkannt – damit ist einer der großen Streitpunkte ausgeräumt. Es gibt natürlich unterschiedliche Vorstellungen über die Gestaltung der Zukunft des Landes.

Umstritten ist doch aber auch die Frage, ob lediglich Assad abdanken soll oder die gesamte syrische Führung ausgewechselt werden muss.
Für die gesamte Opposition ist klar, dass das Land erst zurückkommen kann, wenn ein kompletter Regimewechsel stattgefunden hat. Es ist aber auch klar, dass dieser Wechsel sofort nicht möglich ist. So stehen wir vor der schwierigen Frage, welchen Funktionären man noch so weit vertrauen kann, um sie an einer Übergangsregierung zu beteiligen. Ein gutes Beispiel ist der ins französische Exil geflohene General Manaf Tlass: Er ist auf der einen Seite ein wichtiger Bestandteil des Regimes gewesen und ein Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers, auf der anderen hat er selbst – soweit wir wissen – keine größeren Straftaten zu verantworten. Eine Übergangsregierung wird aber nur unter der Führung einer Persönlichkeit aus der Opposition möglich sein. Alles andere ist der syrischen Bevölkerung nicht zuzumuten.

Sie selbst sind Mitglied im Syrischen Nationalrat. Wie nehmen Sie diese Rolle wahr?
Die Mitglieder des Nationalrates in Deutschland fungieren als Kontaktpersonen der offiziellen Stellen in der Politik und für Hilfsorganisationen, aber auch als Ansprechpartner für die Mitglieder der syrischen Gemeinden in Deutschland. Dazu kommen die internen Aufgaben des Nationalrates, das heißt, die Diskussionen hinsichtlich der Übergangsphase und der Gestaltung des Landes in der Zukunft zu führen.