Nicht zuletzt die Bundesregierung räumt dem EU-Außengrenzschutz mittlerweile ebenfalls Priorität ein. Bleibt da aber kein Platz für Humanität mehr? Zum Beispiel beim Umgang mit den Flüchtlingen am Budapester Bahnhof vor einem Jahr.
Da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir sahen uns damals einer unkontrollierten Völkerwanderung von Menschen gegenüber, die jegliche Zusammenarbeit mit unseren Behörden verweigert haben, weil sie eigentlich nach Deutschland wollten. Wir haben versucht, sie zu versorgen, aber sie sind nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen gegangen – auf einer Autobahn können sie keine Versorgung gewährleisten.
In einem Bahnhof aber eigentlich schon.
Wie gesagt, in den Erstaufnahmestellen wäre alles vorhanden gewesen. Aber dort wollten sie nicht hin.
In der Kampagne vor dem Referendum über die europaweite Verteilung von Flüchtlingen werden diese auch nicht gut behandelt.
In den EU-Verträgen finden Sie keinen Paragrafen, in dem steht, dass man keine Angst haben darf. Und wir sagen auch nicht, dass alle Flüchtlinge Terroristen sind. Aber es ist nun einmal ein Fakt, dass die Attentate der vergangenen Monate von Migranten, wenn auch nicht unbedingt erster Generation, verübt worden sind.
Aber schürt Ihre Regierung die verständliche Terrorangst nicht auch noch?
Wie man darüber redet, ist sicherlich eine sensible Frage. Wir müssen aber auch ehrlich miteinander sein. Es hilft uns nichts, so etwas kleinzureden.
In Deutschland fühlen sich nicht wenige von Ungarn im Stich gelassen, weil sich Ihr Land bisher einem fairen Lastenausgleich bei der Verteilung von Flüchtlingen verweigert hat.
Wir sperren uns nicht grundsätzlich dagegen, aber erst muss die Kontrolle an den Außengrenzen wieder voll hergestellt sein. Das ist im Gange. Und dann müssen wir die Differenzierung zwischen Wirtschaftsmigranten und Schutzsuchenden außerhalb des Gebietes der EU gewährleisten. Erst danach kommt für uns die Frage, wie wir den Flüchtlingen am besten helfen können. Die Verteilung gehört auf diese Liste, da stimme ich zu - aber eben auch deutlich mehr humanitäre Hilfe vor Ort in ihrer Region und eine Beteiligung anderer Länder außerhalb Europas.
Haben die deutsch-ungarischen Beziehungen Schaden genommen?`
Geholfen haben die Ereignisse sicher nicht. Was unsere traditionelle Freundschaft anbelangt, sehe ich derzeit kein größeren Probleme. Auch in der Wirtschaft nicht, wo wir übrigens einer der engsten Verbündeten Deutschlands auf europäischer Ebene sind. Wir Ungarn haben bewiesen, dass es möglich ist – wie Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble immer sagt -, dass Reformen und Finanzdisziplin Hand in Hand gehen können.
Trotzdem gibt es da diesen riesigen Dissens in der Verteilungsfrage.
Diese eine Frage müssen wir miteinander austragen. Wie bekommen wir es hin, dass die deutschen Bürger nicht denken, dass die Polen, Tschechen oder Ungarn unsolidarisch sind? Denn wir leisten ja unseren Beitrag, indem wir zum Beispiel die Außengrenze schützen: Wenn nun in Deutschland gesagt wird, dass die Zahlen zurückgegangen sind und die Lage wieder unter Kontrolle ist, dann dürfen wir darauf hinweisen, dass wir einen bescheidenen Anteil daran haben.
Wie sehen Sie Deutschlands Rolle im Augenblick?
Deutschland war schon bisher das größte und stärkste Land in der EU. Mit dem Brexit ist dieses Gewicht noch größer geworden und damit auch die Verantwortung. Aber wir Ungarn wollen die Partner dieses noch wichtigeren Deutschlands sein – und nicht sein Gegner.
Machen Sie sich wegen der Etablierung einer Rechtspartei Sorgen um die politische Stabilität in Deutschland?
Die politische Landschaft in Deutschland verändert sich. In welche Richtung sich die Bundesrepublik entwickelt, liegt in den Händen der deutschen Bürger und ihrer politischen Vertreter. Aber eines ist klar: Wenn Sie hier mehr und mehr von Verunsicherung hören, muss man das ernst nehmen. Denn das letzte, was uns in Europa fehlt, ist ein verunsichertes Deutschland. Europa braucht ein sich sicher fühlendes selbstbewusstes Deutschland, das in der Lage ist, nicht nur das wirtschaftliche Zugpferd zu sein.