Jürgen Hauber ist bei der Polizei für die Flüchtlinge zuständig – und beruhigt vor allem ängstliche Bürger. In den Flüchtlingsunterkünften in den Landkreisen Böblingen und Ludwigsburg ist es bislang friedlich zugegangen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Ludwigsburg - Trotz steigender Flüchtlingszahlen nimmt die Kriminalität nicht überproportional zu, sagt Jürgen Hauber. Bisher wurde die Polizei in den Landkreisen Böblingen und Ludwigsburg vor allem zu kleineren Problemfällen gerufen. Das Zehn-Punkte-Programm des Polizeipräsidiums greift, meint der Kriminaloberrat. Seit Sommer suchen regelmäßig Kontaktbeamte die Flüchtlingsunterkünfte auf. Sie sollen den Asylbewerbern zeigen, wie die Polizei hierzulande ihre Arbeit versteht und wie der Rechtsstaat funktioniert.

 
Herr Hauber, haben Sie den Überblick über die Stimmung in und um die Flüchtlingsunterkünfte in den Landkreisen Böblingen und Ludwigsburg?
Mit unseren Kontaktbeamten haben wir den Finger am Puls des Geschehens. Die Kollegen kennen die Unterkünfte, suchen sie regelmäßig auf. Sie haben dort ihre Ansprechpartner und reden auch mit den Anwohnern. Da bekommt man die Stimmung mit. Das ist unser Frühwarnsystem.
Hat es schon angeschlagen?
Bisher wurden die Kollegen eher bei kleineren Problemfällen angesprochen. Dass zum Beispiel Privatgrundstücke betreten oder vermüllt werden oder dass sich Nachbarn über Lärmbelästigungen beschweren. So kann man vieles zu einem frühen Zeitpunkt durch Kommunikation wieder beschwichtigen, bevor es zu größerem Unmut kommt. Durch die Kontaktbeamten haben wir auch Hinweise darauf bekommen, dass die Fluchtwege in einer Unterkunft nicht ordnungsgemäß zu öffnen waren. Solche Problemstellungen könnten unter Umständen eskalieren. Dass es dann heißt, die Flüchtlinge wurden eingesperrt.
Ist es bisher in den beiden Kreisen zu irgendwelchen Eskalationen gekommen?
Nein. Wir sind momentan mehr damit beschäftigt, Befürchtungen und Ängste der einheimischen Bevölkerung aus dem Weg zu räumen. Ich frage mich ja immer, wie man Flüchtlinge per se für Vergewaltiger oder Kinderschänder halten kann. Aber solche Befürchtungen werden immer wieder bei Bürgerversammlungen geäußert. Dafür gibt es keinen Grund, unsere Kriminalitätsstatistik gibt es auch nicht her. Der sexuelle Missbrauch von Kindern findet meist im Nahbereich der Familie statt. Das war schon immer so. Eher der Onkel ist der Täter als der Unbekannte. Es ist eine ganz interessante Entwicklung: Diese Ängste sind so dominant und verbreiten sich so sehr, dass wir mehr damit zu tun haben, sie wieder aus der Welt zu schaffen.
Im Kreis Böblingen hat ein Banner für Gesprächsstoff gesorgt, das angeblich an einer Autobahnbrücke hing. „Wenn eure Kinder nicht zu Allah beten, töten wir sie“, soll der Spruch geheißen haben. Im Kreis Ludwigsburg wurden Ortsschilder mit arabischen Wörtern überklebt. Wer steckt hinter solchen Aktionen?
Meiner Meinung nach gibt es ein paar Lautsprecher, die sich auf diese Art artikulieren. Wir haben noch keine Tatverdächtigen für die Klebe-Aktion. Ich vermute, sie stammen eher aus der Ecke der Gegner der aktuellen Flüchtlingspolitik. Soziale Medien im Internet wie Facebook spielen bei der Verbreitung von solchen Geschichten eine große Rolle. Man teilt die Bilder und Meinungen untereinander und verstärkt sie damit. Dann denken viele, es handele sich um eine Wahrheit und die Mehrheit, die dieser Meinung ist. Wie bei Stuttgart 21: da dachten auch alle, die Gegner sind in der Mehrheit – bis zur Volksabstimmung. Das Schlimme ist, dass diese Menschen sich bestärkt fühlen, wenn niemand widerspricht. Wir beobachten auch den Trend, etwas anzuzünden. Aber wer ein Haus anzündet, nimmt billigend in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen. Brandstiftung ist kein Protest, das ist kriminell! Wer das gut heißt, unterstützt Kriminelle.
Und wie steht es um die Kriminalität der Flüchtlinge?
Junge Männer zwischen 16 und 25 Jahren sind per se sowohl im Verkehrsbereich als auch im Kriminalitätsbereich viel auffälliger als alle anderen Bevölkerungsgruppen – und zwar unabhängig davon, ob es Deutsche sind oder nicht. Das sind die Jungs, die unsterblich sind, denen nichts passieren kann. Da diese Personengruppe bei den Flüchtlingen stark vertreten ist, ist diese Gruppe logischerweise auch mehr kriminalitätsbelastet. Bei den Straftaten handelt es sich aber meistens um kleinere Eigentumsdelikte, zum Beispiel Ladendiebstahl. Häufig sind es Verstöße gegen das Asylgesetz, die Deutsche gar nicht begehen können. Hinzu kommen Straftaten im Bereich von Körperverletzungen. Wenn 200 Menschen auf engem Raum zusammenleben, dann rappelt es manchmal. Das ist zwangsläufig.
Was ist mit dem Klischee vom Asylbewerber, der mit Drogen handelt, oder dem muslimischen Mann, der Frauen belästigt?
Die Statistik bestätigt diese Klischees nicht. Sie kommen trotzdem immer wieder auf. Das berichten mir auch die Kontaktbeamten: Manchmal sind die Anwohner von Flüchtlingsunterkünften sogar enttäuscht, wenn die Polizei die Befürchtungen nicht bestätigt, dass die Flüchtlinge kriminell sind. Es muss doch so sein, es redet doch jeder darüber, heißt es dann.
In Schleswig-Holstein und Thüringen wird der Polizei vorgeworfen, dass sie Straftaten von Flüchtlingen bewusst verheimlicht. Werden vom Polizeipräsidium Ludwigsburg solche Vorfälle auch lieber nicht gemeldet?
Nein, wir verheimlichen nichts! Wir behandeln deutsche wie nicht-deutsche Tatverdächtige gleich. Es gibt keinen Flüchtlingsbonus. Wir sind bei allen Straftaten gleich konsequent.
Eine Streifenpolizistin aus Bochum hat gerade das Buch „Deutschland im Blaulicht“ veröffentlicht. Sie kritisiert darin unter anderem, dass muslimische Migranten keinen Respekt vor der Polizei hätten.
Das Problem habe ich nicht nur bei Migranten, sondern auch bei Deutschen. Vor einigen Jahren hat man Ähnliches russischen Spätaussiedlern unterstellt. Das ist heute übrigens kein Thema mehr. Die haben sich integriert. Natürlich sind unsere Kollegen im Streifendienst immer wieder solchen Situationen ausgesetzt. Aber das würde ich nicht an den Migranten festmachen. Der Respekt vor der Obrigkeit insgesamt lässt gewaltig nach.
Sind Sie ein Sozialromantiker?
Das bekomme ich bei Bürgerversammlungen zur Flüchtlingsproblematik auch öfters zu hören. Bei der Polizei sind wir nicht blauäugig. Wenn mehrere Hunderttausend Menschen nach Baden-Württemberg kommen, werden davon einige straffällig werden. Das ist Fakt. Aber es ist nicht zwangsläufig und damit auch nicht pauschalisierbar. Ich finde, man muss vielmehr aufpassen, dass man sich durch die Ängste und Befürchtungen nicht sein Lebensumfeld schlecht macht. Man muss sich klar machen, wo man tatsächlich mit dieser angeblichen Gefahr konfrontiert ist. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich vor rund 15 Jahren in Stuttgart in einem Bus saß und eine schwäbische Frau sagte zu ihrer Nachbarin, dass sie sich hier nicht mehr wohl fühle. Denn neben ihr im Bus wurde Russisch und Türkisch gesprochen. Objektiv ging von den Personen um sie herum keinerlei Gefährdung aus. Und jetzt ist es wieder so – nur mit den Flüchtlingen als Anlass. Die schiere Masse erschreckt einfach. Uns ist es wichtig, diese Befürchtungen zu relativieren und der Bevölkerung diese Ängste zu nehmen.