Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Bundesfinanzminister Schäuble plädiert für einen späteren Rentenbeginn. Fürchten Sie einen baldigen Großangriff auf die Rente mit 67?
Viel zu viele Menschen erreichen schon heute nicht das gesetzliche Renteneintrittsalter. Was Schäuble fordert, ist daher schlicht ein Rentenkürzungsprogramm. Die DGB- Gewerkschaften wollen einen Kurswechsel: Wir brauchen dringend eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus. Damit kann die große Koalition direkt beginnen, indem man zum Beispiel die Mütterrente aus Steuern statt aus Beiträgen finanziert. Das würde die Rentenkasse um sieben Milliarden Euro pro Jahr entlasten.
Wie viel private Vorsorge braucht es?
Als vor 15 Jahren die Riester-Rente eingeführt wurde, hoffte man auf eine Stabilisierung. Nun stellen wir fest, dass sich Riester nicht bewährt hat – nicht nur wegen des Zinsniveaus, das gegen null geht. Kapitalmarktgedeckte Renten sind unsicher: 2008/2009 haben wir in den USA erlebt, dass ganze Pensionsfonds in die Pleite getrieben wurden.
Muss die Betriebsrente verpflichtend werden für alle, wie es auch die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) empfiehlt?
Den Vorschlag der CDA finde ich sehr erfreulich. 60 Prozent der Beschäftigten werden in Deutschland von der betrieblichen Altersvorsorge erfasst – das reicht nicht. Die betriebliche Vorsorge auszuweiten und gegebenenfalls obligatorisch zu machen für kleine und mittlere Unternehmen, wie es Arbeitsministerin Nahles vorhat, ist ein Element, um die Renten insgesamt anzuheben. Die betriebliche Altersvorsorge kann die gesetzliche Rente aber nur flankieren. Deswegen muss das gesetzliche Rentenniveau stabilisiert werden.
Alle reden von Altersarmut. Bisher trifft sie aber nur einen kleinen Teil der Rentner.
Die große Sorge ist: Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, ist das Risiko einer wachsenden Altersarmut groß. Dazu muss der Arbeitsmarkt neu geordnet werden, um die Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren. Viele Menschen fallen mit 57 oder 58 Jahren aus dem Erwerbsleben heraus, weil sie ausgelaugt sind. Das kann so nicht weitergehen. Wir müssen aber nicht nur den betrieblichen Gesundheitsschutz stärken, sondern auch die Menschen besser qualifizieren angesichts der technologischen Innovation.
Die Kanzlerin will die Rente aus dem Wahlkampf heraushalten – werden Sie dies verhindern?
Wenn es keine grundlegende Kurskorrektur zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente gibt – und davon ist auszugehen –, wird sie zwangsläufig ein zentrales Thema im nächsten Bundestagswahlkampf.
Welche Schulnote geben Sie der großen Koalition?
Befriedigend plus.
Noch garantiert die Kanzlerin sozialdemokratische Positionen in der Union und eine gewerkschaftsnahe Politik – darauf können Sie sich aber nicht auf ewig verlassen?
Die Kanzlerin hat gezeigt, dass sie die Gewerkschaften schätzt. Aber wir verlassen uns auf niemanden, dazu gibt es zuviele offene Baustellen in der Politik. Und wir erleben ja gerade die Zerstrittenheit zwischen CDU und CSU. Was uns aber mindestens ebenso große Sorgen macht, ist die Frage, wie es in Europa weitergeht. Da vertritt die Kanzlerin alles andere als eine soziale Position mit dem harten Sparkurs. Die EU ist in einer denkbar schlechten Verfassung. Wenn es den Menschen in unseren Nachbarländern schlecht geht, wird es uns auf Dauer nicht gut gehen können. 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern sind eine wirkliche Gefahr für die Demokratien.
Ohne die SPD hätten die Gewerkschaften nicht so viel erreicht. Wenn Baden-Württemberg Schule macht, kommt Ihnen der wichtigste politische Partner abhanden. Machen Sie sich Sorgen um die SPD?
Beim DGB handelt es sich um Einheitsgewerkschaften, aus der historischen Erfahrung mit extrem zersplitterten Gewerkschaften in der Weimarer Republik heraus. Heißt: Wir sind parteipolitisch unabhängig, aber nicht neutral. Sigmar Gabriel hat gesagt: Die SPD darf sich nie wieder so weit von den Gewerkschaften entfernen wie zu Zeiten der Agenda 2010. Da hat er Wort gehalten. Gerade Arbeitsministerin Nahles steht für Gesetze, die im Koalitionsvertrag verabredet wurden. Wir fordern aber auch ein Entgeltgleichheitsgesetz, das zumindest in Ansätzen die Lohndiskrepanz zwischen Männern und Frauen von bis zu 20 Prozent beheben soll. Die Vorschläge, die beispielsweise aus dem Familienministerium von Manuela Schwesig kommen, hängen im Kanzleramt fest. Das hat eine Ursache – die findet sich in München und heißt CSU.