Das macht man unbewusst?
Ja. Das macht man, weil man es eintrainiert hat. Das ist für Außenstehende sehr schwer zu verstehen. Ein Norddeutscher glaubt, dass wir in Süddeutschland immer Dialekt sprechen, auch wenn wir es nicht tun. Zum Beispiel ein aus Norddeutschland hergezogener Abteilungsleiter, der glaubt, alle seine Angestellten sprechen Schwäbisch, bloß weil sie nicht Norddeutsch sprechen. Aber es ist vielleicht Stufe drei bis vier, also eine völlig akzeptierte Standardsprache, die man in Süddeutschland sprechen darf in offiziellen Situationen. In Bayern ist das noch stärker. Im Südwesten empfindet man es vielleicht als nicht angemessen in feierlichem akademischem Rahmen das Schwäbische durchklingen zu lassen, während das im Bairischen oder Fränkischen nicht verpönt ist. Aber im Grunde gibt es in beiden Ländern diese Mehrstufigkeit.

Ich kann mir das mit den fünf Stufen nicht so recht vorstellen. Haben Sie ein Beispiel?
Mein vor zwei Jahren verstorbener Kollege Arno Ruoff hat da immer ein schönes Beispiel gehabt. Der Satz lautet in Standardsprache: „Ich musste dort hinüber zur Arbeit.“ Das heißt dann in Stufe zwei vielleicht: „Ich hab da nüber misse ins Gschäft.“ Die Veränderung ist sowohl lexikalisch von „Arbeit“ zu „Gschäft“ als auch grammatikalisch: „musste“ im Präteritum wird zu Perfekt „hab misse“. Wenn ich jetzt noch regionaler sprechen will, dann sage ich: „I han do nom misse zom schaffe“, jetzt wird „hab“ zu „han“, und ich komme vom „Gschäft“ zum Verbalen, zum „schaffe“. Wenn ich jetzt noch in mein Dorf gehe, dann sage ich: „i hau miasse“. I hau, i han, i hab, ich musste: vier Stufen. Da können wir spielen.

 

Welchen Vorteil hat man davon?

Man kann emotional viel besser wirken. Mundart ist ja auch die Sprache der Nähe, des Vertrauens. Wenn man in der falschen Stufe spricht, dann ist Distanz da. Das ist ein Vorteil von Mundart. Wenn man von Standard auf Mundart umschaltet, dann ist das Gespräch gleich viel persönlicher und viel wärmer.

Viele Politiker spielen auf dieser Klaviatur.
Das ist, was man heute so gerne mit „authentisch“ bezeichnet. Aber die Mundartsprecher merken es, wenn das einer künstlich einsetzt. Man kann, wenn man von außen kommt, die Gesetze so gut wie nicht lernen. Als Sprachforscher suchen wir diese Gesetze und wir kriegen die raus. Die Sprecher kennen die nicht.

Wenn also alles gut ist mit dem Dialekt, woher kommt dann das Gefühl, dass junge Leute vor allem Hochdeutsch sprechen und die alten Wörter aussterben?
Ich glaube, das Gefühl, dass der Dialekt ausstirbt, hängt auch damit zusammen, dass sich die Welt verändert, die Sachwelt. Aber der Dialekt hängt nicht nur an der Sachwelt. Dazu kommt: früher hatte man nur die Gelegenheit auf der Stufe eins zu sprechen, weil man nicht aus dem Dorf herauskam. Heute verlässt man zum Arbeiten die Stufe eins, sie ist aber trotzdem noch da, wenn man am Abend zurückkommt. Bei der Arbeit müssen die Leute auf Stufe zwei und drei sprechen, deshalb denken sie, man spricht nicht mehr Dialekt. Prozentual spricht man weniger Grundmundart am Tag, das heißt aber nicht, dass sie verloren geht.

Und wie ist das mit der Weitergabe an die Kinder?
Das kommt auf die Region an. Also bei uns auf der Ostalb, da klappt es sehr, sehr gut. Da ist überhaupt keine große Veränderung auf allen Stufen. Es gibt aber auch in Baden-Württemberg Gebiete, die sind so stark gemischt, da wird Stufe eins gar nicht mehr existieren, also in Ballungsgebieten oder bestimmten Wohngebieten. Das kann aber alles auch direkt nebeneinander liegen. In Freiburg spricht keiner mehr Stufe eins, auch die direkt angrenzenden Orte sind voller Zugezogener. Aber gleich daneben liegen die alten Weinbauorte ohne Neubaugebiete – und mit total stabiler Mundart. Alles auf engstem Raum.