Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)
Insofern hat die Energiewende in Deutschland dazu beigetragen, dass die Abhängigkeit von Russland geringer geworden ist.
Vorerst nein. Die Abhängigkeit ist eher größer geworden, auch durch die Entscheidung, aus der heimischen Steinkohleförderung auszusteigen. Russland ist inzwischen auch der größte Exporteur von Steinkohle nach Deutschland. Erst mittelfristig wird die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen sinken.
Russland ist in hohem Maß auf die Gaseinnahmen angewiesen. Kann es den Westen überhaupt glaubwürdig unter Druck setzen?
Beim Blick auf die erste Gaskrise im Jahr 2006 kann man feststellen, dass sich Russland mit der Drosselung der Lieferungen eher geschadet hat – nicht nur wegen der kurzfristigen Einnahmeausfälle. Da ist auch das Vertrauen in Russlands Lieferwilligkeit erschüttert worden – und das hat letztlich dazu geführt, dass Europa eine gemeinsame Energiepolitik initiiert hat. Eine Folge davon ist, dass russisches Gas heute einen geringeren Marktanteil hat als um das Jahr 2000 herum.
Gazprom musste ja auch schon Preisnachlässe gewähren . . .
Das liegt vor allem am Schiefergasboom in den USA, der wesentlich zum weltweiten Überangebot an Gas beigetragen hat. Zudem war LNG 2011 und 2012 plötzlich um bis zu 40 Prozent billiger als Pipelinegas. Darauf musste Gazprom reagieren. Vor dem Schiefergasboom hat Russland viel Geld in neue und sehr teure Gasfelder gesteckt und wollte seine Investitionen durch langfristige Lieferverträge absichern. Inzwischen hat sich der Markt gravierend verändert. Die traditionellen Langfristverträge gehen völlig an dieser Entwicklung vorbei. Ein wachsender Teil des Gases wird heute auf dem kurzfristigen Spotmarkt gehandelt.
Alles in allem können sich die Gaskunden also freuen.
Wir haben in Europa einen Käufermarkt, in dem die Abnehmer in der stärkeren Position sind. Das hängt auch mit der Vielzahl neuer Optionen in der Gasversorgung zusammen – selbst wenn diese noch gar nicht real existieren. Die USA exportieren zwar noch kein Schiefergas nach Europa, aber bereits die Ankündigung verbessert Europas Verhandlungsposition gegenüber Gazprom.
Wie lange wird das so bleiben? Immerhin hat Russland einen Liefervertrag mit China geschlossen, dessen Verbrauch rasant steigt.
Ich glaube nicht, dass sich das auf unsere Gasversorgung auswirkt. Moskau versucht zwar den Eindruck zu erwecken, es könne europäische und asiatische Kunden gegeneinander ausspielen. Aber die neuen Gasfelder, aus denen China beliefert werden soll, liegen im östlichen Sibirien und fernen Osten Russlands. Sie sind so weit von Europa entfernt, dass sie schon aus Kostengründen niemals an das europäische Netz angeschlossen werden. Zudem ist Russland auch selbst an die langfristigen, teilweise 20 oder 30 Jahre laufenden Lieferverträge mit europäischen Kunden gebunden. Die Transportkosten werden in der Debatte über die Gasversorgung im Übrigen völlig unterschätzt. Sie wirken sich aber auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit russischen Gases aus, die durch teure neue Pipelines wie Southstream noch schlechter wird. Zugleich hat Europa eine Vielzahl anderer Optionen – etwa Schiefergas und die Offshore-Gasressourcen vor den Küsten Rumäniens, Bulgariens, Kroatiens und Griechenlands sowie im östlichen Mittelmeer. Selbst wenn dort höhere Produktionskosten anfielen, wäre das billiger, als Gas aus den neuen russischen Gasfeldern über Tausende Kilometer zu transportieren.