Die Amerikaner weigern sich bisher, die Ebene ihrer Bundesstaaten einzubeziehen – gerade deren Aufträge wären für den europäischen Mittelstand von großem Interesse.
Das stimmt. Wir fangen im Herbst an, konkret über die Ausschreibungen zu verhandeln. Es darf dann keine Tabus mehr geben. Im Endspiel werden beide Seiten natürlich Zugeständnisse machen müssen.
Die Gespräche werden intensiviert?
Ja, wir hatten Verhandlungen im Oktober und Dezember geplant. Nun wird es wohl auch Gespräche im November geben.
Umstritten ist auch die Frage, ob es sich bei TTIP um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handelt, dem alle nationalen Parlamente zustimmen müssten und nicht nur das EU-Parlament.
Es wird wahrscheinlich ein gemischtes Abkommen sein – gerade wenn es so umfassend und ehrgeizig wird, wie wir das wollen. Dann würden 42 Parlamente, allein sechs in Belgien, über TTIP entscheiden. Aber die EU-Kommission kann ihre juristische Einschätzung erst abgeben, wenn das Abkommen fertig ist.
Kommen wir zu dessen heikelstem Punkt, den Investorenschutzklauseln mit dem Kürzel ISDS. Das Klagerecht von Konzernen gegen Staaten war lange ausgeklammert. Wann kehrt es in die Verhandlungen zurück?
Im Herbst. Basis dafür werden meine Vorschläge vom Mai sein, die auch im Europaparlament und im Ministerrat nun als der richtige Weg angesehen werden. Intern arbeiten wir an einem rechtsverbindlichen Vorschlag, wie er in TTIP verankert wird: Öffentlich ernannte, unabhängige Richter sollen in transparenten Verfahren Urteile mit Revisionsmöglichkeit sprechen.
Gehen die USA darauf ein?
Das weiß ich noch nicht. Aber im US-Kongress ist ISDS ein Thema, die ganze Welt redet darüber – daher ist es richtig, dass die EU eine Führungsrolle einnimmt, um das überholte System zu modernisieren. Investitionen müssen geschützt sein. In den Fünfzigern, als das jetzige System kreiert wurde, sah man nicht die Notwendigkeit, die staatliche Gesetzgebungshoheit schützen zu müssen. Parallel denken wir über ein neues multilaterales System nach, eine Art UN-Investitionsgerichtshof – was aber länger dauert.
Kritiker sähen Schiedsgerichte am liebsten ganz verschwinden. Warum muss es zwischen zwei funktionierenden Rechtssystemen trotzdem sein? Damit China einmal nicht behaupten kann, schlechtergestellt zu sein als die USA?
Das ist ein Grund. Der zweite ist, dass neun EU-Staaten bereits bilaterale Investitionsschutzabkommen mit den USA haben, die viel fragwürdiger sind und auch nicht verschwinden, wenn wir sie nicht durch ein EU-Abkommen ersetzen. Und drittens steht der Investitionsschutz in meinem Verhandlungsmandat. Egal, was sie vielleicht lesen mögen: kein einziger der 28 Mitgliedstaaten hat verlangt, dass ich den Investitionsschutz ad acta lege.
Was Ihnen bei TTIP vorschwebt, könnte im Abkommen mit Kanada Probleme bereiten. Es enthält schon reformierte Klauseln, die aber hinter den neuen Ideen zurückbleiben. Wer soll denn da zustimmen?
Sicher wird es Widerstand geben, wenn es Anfang nächsten Jahres Ministerrat und Europaparlament vorgelegt wird. Aber man muss respektieren, wenn ein Deal abgeschlossen wurde – ein sehr guter für Europas Wirtschaft übrigens. Wir sprechen mit den Kanadiern, ob wir bei ISDS noch einzelne Anpassungen vornehmen können. Darauf hoffe ich. Ansonsten verweise ich auf die Überprüfungsklausel, über die der Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt angepasst werden kann.
Gemeinsame Standards sind gerade im Abkommen mit den USA zentral. Maschinen oder Autos nicht doppelt zuzulassen, leuchtet ein. Aber es soll auch einen Regulierungsrat mit der Industrie geben, der vor neuen Gesetzen konsultiert wird. Haben die Kritiker nicht recht, die darin ein Einfallstor für Lobbyisten sehen?
In Brüssel gibt es schon jetzt sehr viele Lobbyisten. Am Ende haben immer das Europaparlament oder die nationalen Parlamente das letzte Wort – daran ändert sich durch das Beratungsgremium, das offen für alle sein und voll transparent arbeiten wird, nichts. Wir werden künftig viele Standards für neue Techniken brauchen, bei Elektroautos oder in der Nanotechnologie. Wenn wir die besten Leute dieser Branchen vor einer Gesetzgebung am Tisch sitzen haben, aber auch Umweltgruppen und Verbraucherverbände, ist das meines Erachtens nach sinnvoll. Der Vorteil ist, dass wir dann dieselben Regeln und Sicherheitsstandards in der EU und den USA haben.
Der transatlantische Standard soll global werden. Auch deshalb hat Hillary Clinton TTIP als „Wirtschafts-Nato“ bezeichnet.
Von „Wirtschaft-Nato“ würde ich nicht reden, das lenkt in eine falsche Richtung. Aber wir haben trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit den Amerikanern am meisten gemein – etwa beim Verbraucherschutz oder dabei, dass Kinder bedenkenlos mit ihrem Spielzeug spielen können und es nicht in Kinderarbeit herstellen sollen. Wenn wir solche Standards gemeinsam setzen, werden sie globale Standards sein. Wenn wir das nicht machen, werden es andere tun – auf viel niedrigerem Niveau.