Es gibt ja gar keinen Wahlkampf auf gesamteuropäischer Ebene, welchen Sinn haben da EU-Spitzenkandidaten?
Der Lissabon-Vertrag sieht vor, dass bei der Wahl des Kommissionspräsidenten die Parteienfamilie mit den meisten Stimmen im EU-Parlament berücksichtigt wird. Das ist das eine. Ein gesamteuropäischer Wahlkampf ist eine Herausforderung, aber er ist notwendig. Bei unseren Debatten in den zehn Städten kamen stets die gleichen Themen, was mich erstaunte. Das sind Themen, für die sich Menschen in ganz Europa interessieren: das Handelsabkommen mit den USA, Kohle, Fracking, Geschlechtergerechtigkeit und Flüchtlingspolitik. Wir müssen die Wahlen europäisch machen, dafür sind wir Spitzenkandidaten da.
Steckt hinter Ihrer Kampfkandidatur gegen Rebecca Harms (57) ein Generationenkrieg? Wo sehen Sie Trennlinien zu ihr?
Das ist weder Kampf noch Krieg, sondern ein normaler demokratischer Vorgang. Wir wären nicht die Grünen, wenn wir Listenvorgaben machen würden wie andere Parteien. Ich stehe für eine Generation, für die Europa selbstverständlich ist. Ich bin an der deutsch-polnischen Grenze mit Schlagbäumen aufgewachsen und habe miterlebt, was es bedeutet, wenn Grenzen überwunden werden. Wir wollen Europa anders und besser machen. Wir müssen auf fairen und grünen Wegen aus der Krise finden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien und Griechenland ist ein Problem für ganz Europa. Wie die EU mit Flüchtlingen umgeht, das ist ein Skandal. Das will ich ändern, das regt mich auf.
Die Steuererhöhungspläne waren für die Grünen ein Wahlkiller. Wäre das nicht auch eine tolerantere Flüchtlingspolitik?
Nein. Aus der Bevölkerung hört man, dass viele empört darüber sind, dass Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, dass sie an den Außengrenzen der EU sterben, in Griechenland beim Stellen eines Asylantrags eingesperrt werden und in Italien auf der Straße landen. Darüber gibt es Empörung oder zumindest ein Unbehagen. Natürlich hat es Horst Seehofer einfacher mit seinen populistischen Sprüchen. Aber für Grüne sind die Menschenrechte ein Uranliegen, wenn da was schiefläuft, können wir nicht schweigen. Das Prinzip der Menschlichkeit dürfen wir nicht aufgeben.
Mit der Energiewende ist Deutschland europaweit isoliert, die Grünen sind im Stimmungstief. Woher soll Schwung für eine ökologische Politik kommen?
Ein Stimmungstief der Grünen sehe ich nicht, die Isolierung Deutschlands auch nicht. Von Parteien und anderen Ländern erhalten wir ständig Anfragen, hey, wie macht Ihr die Energiewende? Wir brauchen eine europäische Klimastrategie. Die hat Kommissionspräsident Barroso gerade ins Wasser fallen lassen mit seiner Kürzung der Emissionsreduktionsziele auf 40 Prozent. Er sagt gar nichts zur Energieeffizienz. Wir wollen den Ausbau der regenerativen Energie, den Ausstieg aus Kohle und Atomkraft europaweit. Die Energie von morgen ist als Thema in Europa virulent.
Gibt es rot-grüne Sympathien auf EU-Ebene. Werden Sie Martin Schulz wählen?
Wir arbeiten momentan mit wechselnden Mehrheiten im EU-Parlament. Wir versuchen, andere von grünen Ideen zu überzeugen. Wenn Martin Schulz von uns gewählt werden will, muss er den Grünen tragfähige Angebote machen, wie und wo er grüne Ziele verwirklichen will. Das warten wir ab.