Kultur: Stefan Kister (kir)

Nach wem müsste ein Preis benannt sein, den Sie noch gerne gewinnen würden?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe nämlich eigentlich keine dichterischen Vorbilder.

Aber es gibt ja durchaus einige schillernde Galionsfiguren, die Ihr Schreiben begleiten: der Rattenfänger, Pippi Langstrumpf, Pinocchio, von einer Romanfigur namens Hoppe ganz zu schweigen . . .
Das sind Figuren, die einfach da sind. Wenn man in Hameln aufwächst, ist der Rattenfänger eben präsent. Entweder entwickelt man eine Affinität dazu oder nicht. Ich habe eine große Empfänglichkeit für Sagen- und Märchengeschichten. Und bin da sehr verführbar. Diese Figuren gehen in einen ein und tauchen in den Texten immer wieder auf. Ich merke häufig erst hinterher, wenn sie sich wieder durch die Hintertür in den Text gedrängelt haben.

Was Sie berühren, verwandelt sich in das Gold der Fantasie, wie bei König Midas. Es ist nicht mehr die Wirklichkeit, beunruhigt Sie das nicht?
Das ist durchaus ein Problem. In „Hoppe“ habe ich das thematisiert. Wenn sich alles, was ich behandle, ins Irreale verwandelt, dann besteht immer auch die Gefahr, in eine andere Welt abzugleiten und im Hier und Jetzt nicht mehr zurechtzukommen. Das ist das Los des Dichters, es ist eine Gefährdung, die ich Gott sei Dank nur beim Schreiben habe. Aber sie entspringt dem Wunsch, sich dieser Welt, die ja alles andere als angenehm ist, wovon Büchner auf eindringliche Weise spricht, mit Hilfe der Fantasie auf eine bessere, menschlichere Weise anzunähern. Es ist nicht nur eine Flucht, sondern auch der Versuch, die Schwierigkeiten, die man hat, umzuwandeln. Wie im Märchen: alle Märchenfiguren müssen Probleme lösen, das Einzige, was ihnen hilft, ist ihr tumber Torenglaube, dass es vielleicht doch gut ausgeht.

Könnten Sie sich vorstellen, einen Roman über die Finanzkrise zu schreiben?
Nein. In Amerika habe ich an der Uni Literatur unterrichtet: ein Seminar trug den Titel „Glück und Geld“. In der Literatur spielt Geld ja eine große Rolle, ist aber meistens negativ besetzt. In kaum einem Buch wird der Reichtum gefeiert. Das hat mich sehr beschäftigt. Trotzdem würde ich keinen Roman über die Krise schreiben: höchstens über jemanden, der am Geld scheitert oder vielleicht auch gerade nicht. Ich selber finde ja Geld eine sehr schöne Sache. Und auch sehr wichtig.

Weil es Wünsche erfüllen kann?
Das Tolle an den Wünschen ist, dass sie unsere bessere Hälfte nur solange sind, bis sie erfüllt werden.

Dann ist Geld doch aber eigentlich ein Wunschvernichter.
Die Wünsche, die ich habe, kann ich mir mit dem Büchnerpreisgeld nicht erfüllen. Als Schriftsteller ist man Freiberufler, wenn man nicht aufpasst, sind diese Summen ganz schnell im alltäglichen Leben verschwunden. Mit der Krise ist die Gefahr ja noch viel größer geworden, dass sich alles in Luft auflöst. Wie im Märchen: es kommt und geht. Und dort geht bekanntlich das Wünschen häufig schief.