Felix Ensslin, Sohn der RAF-Gründerin Gudrun Ensslin und des Schriftstellers Bernward Vesper, im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart - Seine Altbauwohnung im Heusteigviertel ist noch nicht vollständig eingerichtet. Der Kunstprofessor Felix Ensslin sagt zur Begrüßung, dass er lange gezögert habe, den Lebensmittelpunkt nach Stuttgart zu verlegen. Nun sitzt er hier auf einem hellen Sofa und raucht Kette.

Herr Ensslin, herzlich willkommen in Ihrer schwäbischen Heimat!


Danke. Es stimmt, dass ich Schwabe bin, auch wenn ich nicht im Ländle geboren wurde, sondern in Berlin und dort auch zuletzt gelebt habe. Ich bin bei meiner Pflegefamilie in Undingen groß geworden, einem Flecken auf der Schwäbischen Alb. In meiner Kindheit habe ich regelmäßig meine Großeltern in Stuttgart besucht und die Wilhelma oder das Planetarium erkundet. Ich kenne auch das Marienhospital gut, weil ich dort nach meinem Unfall behandelt wurde.

Was ist passiert?


In Undingen gab es einen Steinbruch, der auch als Müllhalde diente. Ich habe dort als Bub nach Fossilien gesucht und aus Versehen mit dem Hammer auf eine Kanüle mit konzentrierter Salzsäure gehauen, die vermutlich aus einem alten Feuerlöscher stammte. Das Ding ist mir ins Gesicht explodiert. Daher stammen meine Narben.
Und ich dachte, Sie seien Opfer eines rechtsradikalen Anschlags geworden.


Das glauben viele, die Margarethe von Trottas Film "Die bleierne Zeit" gesehen haben. Das Attentat auf mich ist eine Fiktion.

Sprechen wir über die Realität: Ihr Großvater Helmut Ensslin war Pfarrer der Luthergemeinde in Bad Cannstatt. Ihre Mutter Gudrun Ensslin machte am Königin-Katharina-Stift das Abitur und hat sich im Cannstatter Kursaal mit Bernward Vesper, Ihrem Vater, verlobt. Ihre Mutter nahm sich in der Justizvollzugsanstalt Stammheim das Leben und wurde auf dem Dornhaldenfriedhof bestattet. Ist es reiner Zufall, dass Sie Ihr Lebensweg nun in diese Stadt geführt hat?


Sie sind Journalist, Sie wollen eine schöne Story! Aber nüchtern betrachtet, ist es so, dass ich mich auf die Professur an der Staatlichen Kunstakademie beworben habe, nachdem ich meine Doktorarbeit abgegeben hatte. Ich wäre auch gerne in Berlin geblieben. Gleichwohl habe ich mich gefreut, als ich nach Stuttgart berufen wurde, weil das hier eine tolle Kunstakademie ist. Man könnte das vielleicht als "Ironie des Schicksals" bezeichnen. Aber bitte laden Sie meine Beziehung zu Stuttgart nicht mit einer Bedeutung auf, die es nicht gibt.

Als Sohn einer RAF-Mitbegründerin und eines politischen Schriftstellers müssen Sie mit solchen Deutungen und Vorurteilen leben.


Haben Sie Vorurteile gegen mich?

Ja. Ich bin Ihnen noch nie begegnet, aber gehe davon aus, dass Sie eine Veranlagung zum Rebellentum haben. Rational weiß ich, dass das bescheuert ist.


Sie sagen es. Aber wenn es "bescheuert" ist, so ist es doch normal: Wir sind strukturiert durch unsere Erwartungen, daraus entwickeln sich solche Phantasmen. Ich befürchte, ich muss Ihre Erwartungen enttäuschen. Und vergessen Sie nicht, dass ich zu meinen leiblichen Eltern keinen Kontakt hatte, seit ich vier Jahre alt bin.

Andererseits wuchsen Sie in einem Kaff auf der Schwäbischen Alb auf, sind aber nicht Landwirt oder Landarzt geworden, sondern suchen nach Antworten auf philosophische Fragen. Da sehe ich durchaus Parallelen zu Ihren leiblichen Eltern.


Sie definieren den Bereich der Ähnlichkeit großzügig. Ich gehe bildungsbürgerlichen Berufen nach. Meine Eltern kamen aus dieser Schicht wie auch meine Pflegeeltern.