Und was beruhigt Sie, wenn Sie Zweifel haben?
Eine abstrakte Überlegung, sie mag jetzt merkwürdig klingen, aber: Kein Strafverteidiger hat jemals einem Mörder zur Freiheit verholfen! Keiner! Weil in unserer Gesellschaft das Gericht entscheidet, ob er ein Mörder ist. Und wenn es ihn freispricht, war er es nicht. Es ist das Wesen des Rechtsstaats.

Nehmen wir Ihre Geschichte über Friedhelm Fähner. Am Ende hat man fast Verständnis dafür, dass er seine Frau umbringt. Ist dieses Vorgehen bloße Verteidigungstaktik?
Der Anwalt ist ein Fürsprecher, er spricht für den, der es selbst nicht gut kann. Der Verteidiger kennt die Sprache des Gerichts, er wird gehört. Seine Aufgabe ist es manchmal, die Geschichte seines Mandanten zu erzählen. Fähner könnte seine Leben nicht selbst erzählen, so wie Kachelmann das bei Günther Jauch nicht konnte. Es geht schief, man kann sich nicht selbst verteidigen.

Steckt dahinter auch ein persönliches Interesse, wissen zu wollen, was einen Menschen zum Mörder macht?
Ja, natürlich. Es ist doch nicht wichtig, ob Sie das iPhone 2 oder 5 haben. Das Interessante sind doch die Geschichten der Menschen, seine Schuld.

Und die Antwort darauf ist meist banal?
Das finde ich nicht. Die meisten Dinge werden interessant, wenn Sie sich nur intensiv damit beschäftigen. Sie gehen über eine Wiese: Gras, Blumen, Erde – völlig uninteressant. Aber wenn Sie sich wirklich dafür interessieren, wie so eine Wiese funktioniert, dann wird es anders. Der Vorgang der Tötung selbst ist banal, ja. Ob er ihr den Kopf einschlägt oder sie erwürgt, das ist nur ein Bild, ein Moment. Aber was dazu geführt hat, was den Menschen also ausmacht, das kann doch nie banal sein.

Vielleicht ist banal das falsche Wort. Ein Beispiel: ein junger Mann fragt ein Mädchen nach dem Weg. Im nächsten Moment ist es tot. Das ist alles ganz furchtbar, aber dieser Moment, in dem er sich entschließt zu morden, der erscheint so klein.
So erschreckend klein, ja. Wenn ich Ihnen etwas empfehlen darf: Lesen Sie in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ die Beschreibung von Moosbrugger. Der hat eine Prostituierte getötet. Er kommt in den Gerichtssaal, und jeder Reporter sieht etwas anderes: das Böse in Moosbruggers Augen, sein hinterhältiges Lächeln. Moosbrugger selbst glaubt nur, sein Kopf sei oben offen. Nichts daran ist banal, weil es um den Menschen geht. Um uns.