Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)
Sollte die EU auf so umstrittene Abkommen wie TTIP verzichten als Zeichen an die Bürger, dass sie verstanden hat?
Damit würden wir uns vollends auf Abwege begeben. Die Welt wundert sich schon sehr über die Entscheidung im Vereinigten Königreich. Sie hat Europa bislang als zentralen Ansprechpartner gesehen, um Herausforderungen von großer Bedeutung anzugehen. Siehe jüngst bei der Weltklima-Konferenz in Paris, als die Europäer unter Einschluss der Briten eine gemeinsame Position hatten. Wenn wir jetzt aber noch den Welthandel in Frage stellen, indem wir Ceta und TTIP nicht mehr abschließend beraten und demokratisch beschließen, dann wären wir schlecht beraten. Dann geben wir uns auf.
Welches Signal sollte der EU-Gipfel in der nächsten Woche senden?
Wir brauchen ein Zeichen der Geschlossenheit aller 27. Daran hapert es in letzter Zeit gewaltig. Die Geschlossenheit innerhalb der EU-Kommission ist deutlich höher als unter den Mitgliedsländern. Auch das Parlament macht hier eine bessere Figur. Das Erscheinungsbild Europas wäre besser, wenn die Mitgliedsländer mehr an einem Strang zögen. Meine dringende Aufforderung ist, dass die nationalen Regierungen ihre Fehlerquote bei europäischen Themen drastisch reduzieren. Der britische Premier David Cameron hat unverantwortlich gehandelt, als er das Referendum angezettelt hat. Sein Jugendfreund Boris Johnson hat nicht weniger unverantwortlich gehandelt, indem er das Referendum für seine eigene Profilierung gekapert hat. Es ist mehr als überfällig, dass die nationalen Regierungschefs nun ihre nationalen Egoismen zurückstellen. Das müssen sie am Dienstag beweisen und eine Zukunftsperspektive für die EU ohne Briten aufzeigen.
Brauchen wir jetzt eine große Reform der EU, womöglich einen Verfassungskonvent, wie die SPD fordert?
Ein Verfassungskonvent würde dem Projekt Europa derzeit mehr schaden als nutzen. Ich sehe für die nächsten vier Jahre nicht, dass eine Reform unseres europäischen Primärrechts in den Parlamenten der 27 Mitgliedsstaaten auch nur den Hauch einer Chance hätte. Nun eine europäische Verfassungsreform starten zu wollen, das wäre eine Einladung an alle Populisten, die europäische Idee mit Vollgas an die Wand zu fahren.