Die EU wollte Flüchtlinge aus Italien auf andere Länder umverteilen. Federico Soda, Leiter des Büros für Migration, zieht eine Zwischenbilanz.

Rom - Das EU-Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge läuft Ende September aus. Kritiker halten es für gescheitert. Die Kommission hält dagegen und hat den Mitgliedstaaten Vorschläge unterbreitet, um das Asylsystem in der EU zu reformieren. Experten sehen trotz des Rückgangs der Flüchtlingszahlen in Italien kein Ende der Migrationskrise in Europa.

 
Herr Soda, die EU wollte bis September dieses Jahres 160 000 Asylbewerber aus Griechenland und Italien in andere EU-Mitgliedstaaten umverteilen – es wurden aber bis heute nur rund 27 000 umverteilt. Ist das Programm gescheitert?
Nein. Für diese 27 000 Menschen, denen geholfen wurde – die Zahl wird noch steigen – ist das fantastisch. Aus humanitärer Sicht können wir also nicht sagen, dass das Programm gescheitert ist. Auf politischer Ebene jedoch haben wir noch mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Zum Beispiel, dass sich einige EU-Mitgliedstaaten bis heute weigern, an der Umverteilung teilzunehmen. Ich glaube, dass das Programm zu ambitioniert war, in Bezug darauf, wie schnell Menschen umverteilt werden können.
Vergangenes Jahr sind mehr als 180 000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Umverteilt wurden etwa 8000 Asylbewerber. Das ist weniger als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, oder?
Italien hat weniger davon profitiert als Griechenland, das hat mit der unterschiedlichen Herkunft der Menschen zu tun, die hier ankommen. In den letzten zwei Jahren haben sich die Herkunftsländer der Migranten in Italien stark geändert. Sie kommen hauptsächlich aus Subsahara-Afrika, nur die wenigsten kommen für das Programm infrage. Das Wichtige an dem Programm ist, dass es die Solidarität und die gemeinsame Verantwortung der Staaten betont, also mehr ein symbolischer Wert. Es ist nichts, was die Situation Italiens dramatisch verbessern würde.
Seit Juli sind die Zahlen der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, stark rückläufig. Die libysche Küstenwache hat in diesem Jahr rund 13 500 Menschen gerettet. Steigen tatsächlich weniger Menschen in die Schlepperboote?
Diese Frage kann niemand abschließend beantworten. Was wir wissen, ist, dass tatsächlich gerade weniger Menschen versuchen, auf Booten das Land zu verlassen. In Libyen soll sich die Konstellation einiger Gruppierungen, die in den Menschenschmuggel involviert sind, verändert haben, was den Menschenhandel gestoppt oder zeitweise unterbrochen hat. Allerdings hält dieser Rückgang noch nicht lange genug an, um sagen zu können: Es legen keine Boote ab, weil keine Menschen mehr in Libyen sind. Es sind noch immer Hunderttausende Migranten in Libyen. Es sind sicher Zehntausende, die es versuchen würden, wenn sie die Möglichkeit bekämen.
Es ist also nicht das Ende der Migrationskrise für Europa und vor allem für Italien?
Nein. Aus den Zahlen lässt sich bislang noch nicht viel ablesen. Außerdem beobachten wir einen wachsenden Migrationsdruck auf Spanien. Auf lange Sicht gesehen, müssen wir davon ausgehen, dass wir an den Südgrenzen Europas weiter mit dem Thema Migration umgehen werden müssen.
Ist der Ansatz richtig, Libyens Südgrenze zu schützen und Länder wie Niger und Tschad zu stärken?
Ich glaube, dass der Schutz von Grenzen sehr wichtig ist. Auf lange Sicht gesehen, wird der Schutz dieser Grenze nicht nur dazu da sein, die Migration nach Europa einzudämmen, er wird auch Menschen schützen, und zwar davor, sich in sehr gefährliche und schwierige Situationen zu begeben. Unabdingbar ist aber, dass wir gleichzeitig über die Öffnung legaler Einreisewege nachdenken. Nur das Schließen der Grenzen wird schlicht nicht funktionieren.