Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Lebensqualität während eines Turniers auf ein Minimum sinkt. Ist es wirklich so schlimm?
Unter Lebensqualität verstehe ich solche Dinge wie sich mit der Familie, mit Freunden zu treffen, Essen zu gehen, selbst zu kicken oder sich im Kino einen Film anzuschauen. Das ist momentan sehr weit weg.

Trotzdem wirken Sie immer sehr ruhig, fast schon lässig. Empfinden Sie gar keinen Stress angesichts der Tatsache, dass ganz Deutschland mit Ihnen mitfiebert?
Stress? Ich empfinde beim besten Willen keinen Stress. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht weil mir meine Arbeit so viel Freude macht. Vielleicht verdränge ich den Stress auch einfach nur.

Verdrängen Sie auch den großen Druck? Alle erwarten von Ihnen, dass Sie diesmal Europameister werden.
Ganz ehrlich: ich empfinde auch keinen Druck. Mag sein, dass alle anderen Leute immer von Druck sprechen, aber mir macht es gerade dann besonders viel Spaß. Ich freue mich auf Wettkämpfe gegen Mannschaften wie Holland, Portugal oder jetzt Dänemark. Das macht mir, bei allem Respekt für diese Gegner, mehr Spaß, als gegen die Schweiz oder Israel zu spielen.

War das bei Ihnen schon immer so?
Ich bin ja inzwischen schon eine ganze Weile dabei. 2004, als ich beim DFB angefangen habe, da war es noch anders. Wir hatten in Österreich ein Freundschaftsspiel – das fand ich klasse, sehr aufregend. Oder das Spiel im Iran – schön, toll, das war echte Hochspannung. Aber seitdem sind acht Jahre vergangen. Das Größte ist für mich heute ein Turnier oder ein bedeutendes Qualifikationsspiel gegen Russland oder die Türkei.

Wenn Sie tatsächlich keinen Stress und keinen Druck empfinden – warum sind Sie dann nach den Turnieren immer so erschöpft?
Das liegt an dem emotionalen Abfall. Die Emotionen sind hier natürlich extrem groß, manchmal auch nicht steuerbar. Ich ärgere mich während eines Spiels, ich freue mich, ich bin emotional und mache Dinge, von denen ich hinterher gar nicht mehr so richtig weiß, was ich da gemacht habe.

Was sind das für Dinge?
Auf der Bank passieren Sachen, die spontan kommen. Oder auch im Training. Da bin ich manchmal gegenüber Spielern sicher ungerecht in meiner Ausdrucksweise. Da sage ich hinterher: das muss man ein bisschen anders einordnen. Aber es ist nun einmal so, dass hier unheimlich viel passiert: Wir gewinnen gegen Holland, aber am nächsten Tag ist schon wieder Dänemark das Thema, und das Turnier geht weiter. Es gibt Höhepunkte oder vielleicht eine Riesenenttäuschung. Und dann fallen die Emotionen in sich zusammen, nachdem man acht Wochen lang unter Hochspannung gestanden hat.

Welche Rolle nehmen in Ihrem Tagesablauf die Einzelgespräche ein? Wie laufen sie ab?
Im Moment relativ spontan. Es finden nicht allzu viele und keine allzu langen Einzelgespräche statt. Es gibt kleine Analysen mit einzelnen Spielern. Was ist passiert im Spiel gegen Portugal? Wie spielt der Gegner im nächsten Spiel? Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Spieler unzufrieden ist oder irgendein Problem hat, spreche ich ihn direkt an. Andere kommen auf mich zu. Aber geplante Einzelgespräche – die gibt es im Laufe eines Turniers weniger.